Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
Luft noch frisch.«
»Sie haben also auch das Arbeitszimmer betreten?«
»Wahrscheinlich.«
»Wissen Sie es nicht mehr genau?«
»Doch, ja, ich bin mir ziemlich sicher.«
»Die zerbrochene Fensterscheibe war schon ersetzt?«
»Ich glaube … ja …«
»Sie haben im Zimmer keine Unordnung bemerkt?«
»Keine, bis auf die üblichen Zigarrenstummel in den Aschenbechern und vielleicht ein oder zwei herumliegende Bücher. Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Monsieur Maigret. Wie Sie sehen, beantworte ich frank und frei Ihre Fragen. Ich bin Ihnen sogar zuvorgekommen.«
»Weil Sie innerlich unruhig sind?«
»Nein, weil ich mich über die Art und Weise schäme, wie Guillaume Sie empfangen hat, und auch, weil Ihr Besuch mir irgendwie nicht geheuer ist. Die Frauen sind nicht wie die Männer. Als mein Mann noch lebte, zum Beispiel, wenn da nachts im Haus ein Geräusch zu hören war, bewegte er sich nicht aus seinem Bett, und ich war es, die nachsehen ging. Verstehen Sie mich? Mit Ihrer Frau ist es wahrscheinlich genauso. Aus ähnlichen Gründen bin ich hergekommen. Sie haben von einem Einbruch gesprochen. Sie scheinen sich über Maria Gedanken zu machen …«
»Sie haben inzwischen noch keine Nachricht von ihr bekommen?«
»Ich rechne nicht mehr damit, von ihr zu hören. Sie verheimlichen mir gewisse Dinge. Das beunruhigt mich. Wie bei den nächtlichen Geräuschen behaupte ich, dass gar nichts Mysteriöses dahintersteckt, dass es genügt, den Dingen auf den Grund zu gehen, damit sie sich als ganz simpel herausstellen.«
Sie sah ihn selbstsicher an, und Maigret hatte ein wenig den Eindruck, als betrachte sie ihn als Kind, als zweiten Guillaume. Sie schien zu sagen:
›Schütten Sie mir Ihr Herz aus. Haben Sie keine Angst. Sie werden sehen, alles ist erklärbar.‹
Auch er sah ihr voll ins Gesicht.
»In jener Nacht ist ein Mann in Ihr Haus eingedrungen.«
Die Augen der alten Dame spiegelten Ungläubigkeit wider, vermischt mit ein wenig Mitleid, so als hätte er erklärt, er glaube noch an den bösen Wolf.
»Was hat er denn gewollt?«
»Den Geldschrank aufbrechen.«
»Hat er es getan?«
»Er ist ins Haus gelangt, indem er eine Fensterscheibe herausschnitt, um das Fenster zu öffnen.«
»Die Scheibe, die beim Gewitter schon zerbrochen war? Sicher hat er sie hinterher wieder eingesetzt?«
Sie weigerte sich noch immer, ihn ernst zu nehmen.
»Was hat er mitgenommen?«
»Er hat nichts mitgenommen, weil in einem bestimmten Augenblick das Licht seiner Taschenlampe auf einen Gegenstand fiel, den er in diesem Zimmer nicht erwartet hatte.«
Sie lächelte.
»Was für ein Gegenstand denn?«
»Die Leiche einer Frau reiferen Alters, die ganz gut die Ihrer Schwiegertochter hätte sein können.«
»Hat er Ihnen das erzählt?«
Er betrachtete ihre weißbehandschuhten Hände, aber sie zitterten nicht.
»Warum ersuchen Sie diesen Mann nicht, herzukommen und seine Beschuldigungen in meiner Gegenwart zu wiederholen?«
»Er ist nicht in Paris.«
»Können Sie ihn nicht herkommen lassen?«
Maigret zog es vor, nicht zu antworten. Er war nicht gerade zufrieden mit sich. Er begann sich zu fragen, ob nicht auch er dem Einfluss dieser Frau verfiel, die die schützende Gelassenheit einer Äbtissin ausstrahlte.
Sie stand nicht auf, wurde nicht unruhig und empörte sich auch nicht.
»Ich weiß nicht, worum es geht, und ich frage Sie auch nicht danach. Bestimmt haben Sie gute Gründe, diesem Mann zu glauben. Er ist Einbrecher, nicht wahr? Ich selbst bin nur eine alte Frau von sechsundsiebzig Jahren, die nie jemandem etwas Böses getan hat. Erlauben Sie mir, da ich das nun alles erfahren habe, Sie inständig zu bitten, zu uns zu kommen. Ich werde für Sie alle Türen aufmachen, werde Ihnen alles zeigen, was Sie sehen wollen. Und auch mein Sohn wird, sobald er erfahren hat, was passiert ist, Ihnen bereitwillig Rede und Antwort stehen. Wann werden Sie kommen, Monsieur Maigret?«
Diesmal war sie aufgestanden. Sie gab sich noch immer ungezwungen und wurde kein bisschen aggressiv, wenn ihr auch etwas Bitterkeit anzumerken war.
»Vielleicht heute Nachmittag. Ich kann es noch nicht sagen. Hat Ihr Sohn in den letzten Tagen sein Auto benutzt?«
»Das fragen Sie ihn bitte selber.«
»Ist er jetzt zu Hause?«
»Vermutlich ja. Er war da, als ich wegging.«
»Eugénie auch?«
»Die ist bestimmt da.«
»Ich danke Ihnen.«
Er begleitete sie zur Tür. Kurz bevor sie sie erreichte, drehte sich Madame Serre um.
»Ich möchte Sie
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