Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
gewesen. Vierundzwanzig Stunden lang habe ich hin und her überlegt. Ich habe alle Zeitungen gekauft, weil ich annahm, dass sie die Meldung von einer ermordeten Frau bringen würden.«
Maigret hob den Telefonhörer ab und ließ sich mit dem Polizeikommissariat in Neuilly verbinden.
»Hallo! Hier ist die Kriminalpolizei. Haben Sie in den letzten vierundzwanzig Stunden einen Mord zu verzeichnen gehabt?«
»Augenblick mal. Ich verbinde Sie mit dem Beamten vom Dienst. Ich nehme nur die Anrufe entgegen.«
Maigret wurde weiter- und immer weiterverbunden.
»Kein Leichenfund auf irgendeiner Straße? Oder ein nächtlicher Notruf? Wurde vielleicht eine Leiche aus der Seine gefischt?«
»Absolut nichts, Monsieur Maigret!«
»Und niemand hat einen Schuss gemeldet?«
»Niemand.«
Die Bohnenstange wartete geduldig, als wäre sie zu Besuch, die Hände über der Handtasche gefaltet.
»Verstehen Sie jetzt, warum ich zu Ihnen gekommen bin?«
»Ich glaube, ja.«
»Zuallererst meinte ich, dass die Polizei möglicherweise Alfred gesehen hatte. In diesem Fall hätte ihn nur sein Fahrrad verraten können. Dann ist da noch das zurückgelassene Werkzeug. Weil er über die Grenze geflohen ist, wird man ihm seine Geschichte nicht abnehmen. Und in Belgien oder Holland ist er nicht sicherer als in Paris. Ich sähe ihn lieber im Gefängnis wegen versuchten Einbruchs, selbst wenn ihm das noch einmal fünf Jahre einbringt, als dass er des Mordes angeklagt wird.«
»Das Ärgerliche an der ganzen Sache ist, dass es keine Leiche gibt«, entgegnete Maigret.
»Glauben Sie etwa, dass er alles erfunden hat oder dass ich Ihnen Märchen erzähle?«
Er antwortete nicht.
»Es wird Ihnen leichtfallen, das Haus ausfindig zu machen, in dem er in der betreffenden Nacht gearbeitet hat. Ich dürfte es Ihnen natürlich nicht verraten, aber ich bin überzeugt, dass Sie auch selbst darauf gekommen wären. Es handelt sich bestimmt um einen Geldschrank, den er mal selbst eingebaut hat. Die Firma Planchart hat bestimmt eine Liste ihrer Kunden. So viele Leute gibt es in Neuilly nun auch wieder nicht, die sich in den letzten siebzehn Jahren einen Tresor angeschafft haben.«
»Hat Alfred außer Ihnen keine Freundin?«
»Na, daran habe ich auch schon gedacht. Ich bin nicht eifersüchtig, und selbst wenn ich’s wäre, würde ich nicht zu Ihnen kommen und Ihnen aus Rache etwas vorschwindeln, wenn Sie das vermuten. Er hat keine Freundin, weil er gar nicht scharf darauf ist, der Arme! Wenn er eine haben wollte, würde ich ihm so viele besorgen, wie er wünschte.«
»Warum?«
»Weil das Leben ohnehin wenig Spaß macht.«
»Haben Sie Geld?«
»Nein.«
»Was werden Sie jetzt machen?«
»Ich schlage mich schon durch, das wissen Sie doch. Ich bin bloß hergekommen, damit festgestellt wird, dass Fred niemanden umgebracht hat.«
»Würden Sie mir seinen Brief zeigen?«
»Sie lesen ihn ohnehin vor mir. Da Sie jetzt wissen, dass er postlagernd kommt, werden Sie doch wohl alle Postämter in Paris überwachen lassen. Sie vergessen, dass ich das Spiel kenne.«
Sie war aufgestanden, stand da in voller Länge und musterte ihn, wie er da an seinem Schreibtisch saß, von oben bis unten.
»Wenn alles stimmt, was man über Sie erzählt, besteht die Aussicht, dass Sie mir glauben!«
»Warum?«
»Weil Sie sonst ein Dummkopf wären. Natürlich sind Sie keiner! Rufen Sie bei Planchart an?«
»Ja.«
»Werden Sie mich auf dem Laufenden halten?«
Er sah sie an, ohne zu antworten, und wurde sich bewusst, dass er ein amüsiertes Lächeln um seinen Mund nicht verhindern konnte.
»Na schön, wie Sie wollen«, sagte sie seufzend. »Ich könnte Ihnen helfen, denn selbst wenn Sie glauben, gut Bescheid zu wissen, gibt es Dinge, die Leute wie wir besser verstehen als Sie.«
Dieses »wir« schloss offensichtlich eine ganze Welt ein, die Welt, in der die Bohnenstange lebte, die Welt auf der anderen Seite der Schranke.
»Wenn Inspektor Boissier nicht gerade im Urlaub ist, wird er Ihnen sicher bestätigen, was ich Ihnen über Alfred erzählt habe.«
»Er ist noch nicht im Urlaub. Er verreist morgen.«
Sie öffnete ihre Handtasche und zog einen Zettel heraus.
»Ich lasse Ihnen die Telefonnummer des Bistros unter unserer Wohnung da. Wenn Sie zufällig mal zu mir kommen müssen, brauchen Sie keine Angst zu haben, dass ich mich ausziehe. Heute behalte ich lieber mein Kleid an!«
Ein bitterer Unterton klang in ihrer Stimme mit. Gleich darauf machte sie sich über sich selbst
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