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Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht

Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht

Titel: Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Nacht im Esszimmer gewacht hatte.
    Zu diesem Zeitpunkt kämpfte er allerdings noch mit sich, wehrte sich gegen den aufkommenden Zweifel. Vielleicht hätte er seinen Glauben wiederfinden können. Aber wie lange hätte das angehalten? Hätte das Leben so weitergehen können wie vorher? Hätte er nicht vor dem endgültigen Bruch eine Reihe von schmerzlichen Krisen durchmachen müssen?
    Er war allein, unrasiert, zu einem Hotel gegangen und hatte dessen Fassade betrachtet. Um sich selbst Mut zu machen, hatte er drei Cognac getrunken. Vor dem Gebäude am Quai des Orfèvres hatte er noch gezögert, bevor er die eisige Toreinfahrt betrat.
    War es ein Fehler, dass Maigret so hart und offen mit ihm geredet hatte und damit etwas auslöste, was früher oder später ohnehin ausgelöst worden wäre?
    Selbst wenn er es gewollt hätte, hätte der Kommissar gar nicht anders handeln können. Meurant hatte zwar einen Freispruch erhalten, Meurant war nicht schuldig, aber irgendwo lebte ein Mann in Freiheit, der Léontine Faverges die Kehle durchgeschnitten und dann ein kleines vierjähriges Mädchen erstickt hatte, ein Mörder, der kaltblütig und gerissen genug war, um einen anderen auf die Anklagebank zu schicken, und der damit beinahe auch noch Erfolg gehabt hatte.
    Maigret war unbarmherzig vorgegangen, hatte Meurant mit einem Schlag die Augen geöffnet und ihn gezwungen, endlich der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Als Meurant sein Büro verließ, war er nicht mehr derselbe, und alles, was jetzt noch für ihn zählte, war seine fixe Idee.
    Er war zielstrebig losgegangen, hatte weder Hunger noch Müdigkeit gespürt, war von einem Zug in den nächsten gestiegen und hatte nicht eher Ruhe gegeben, als bis er sein Ziel erreicht hatte.
    Ahnte er, dass der Kommissar ein Überwachungsnetz um ihn gespannt hatte, dass man ihn bei der Durchreise auf den Bahnhöfen erwartete und dass ihm ständig jemand auf den Fersen war, um notfalls im letzten Augenblick einzugreifen?
    Er schien sich darum keine Sorgen zu machen und davon überzeugt zu sein, dass die Tricks der Polizei seinem Willen nichts anhaben konnten.
    Ein Anruf folgte auf den nächsten, ein Bericht auf den anderen. Lucas hatte vergeblich die Kleinanzeigen durchgesehen. Der Abhördienst, der Ginette Meurants eventuelle Telefongespräche überprüfte – sie befand sich noch immer in ihrem Zimmer in der Rue Delambre –, hatte nichts zu vermelden.
    Rechtsanwalt Lamblin hatte weder in Südfrankreich noch irgendwo in der Stadt angerufen.
    In Toulon hatte Meurants Bruder Alfred die Pension Eucalyptus nicht verlassen und auch mit niemandem telefoniert.
    Man stand vor einem Vakuum, vor einer Leere, in dessen Zentrum sich lautlos und traumwandlerisch nur ein Mann bewegte.
    Um zwanzig vor zwölf rief Lapointe von der Gare de Lyon an.
    »Er ist gerade eingetroffen, Chef. Im Moment isst er ein Sandwich am Bahnhofsbüfett. Er hat immer noch seinen Aktenkoffer bei sich. Haben Sie Neveu zum Bahnhof geschickt?«
    »Ja. Warum?«
    »Ich habe gedacht, er soll mich vielleicht ablösen. Neveu steht auch am Büfett, direkt neben Meurant.«
    »Kümmere dich nicht um ihn. Mach weiter.«
    Eine Viertelstunde später meldete sich Inspektor Neveu, um zu berichten.
    »Ich habe es geschafft, Chef. Ich habe ihn am Ausgang angerempelt. Er hat nichts gemerkt. Er ist bewaffnet. Er hat eine große Pistole, wahrscheinlich eine Smith & Wesson, in seiner rechten Jackentasche. Durch den Mantel fällt das nicht so auf.«
    »Hat er den Bahnhof verlassen?«
    »Ja. Er ist in einen Bus gestiegen, und ich habe gesehen, wie Lapointe hinter ihm eingestiegen ist.«
    »Du kannst zurückkommen.«
    Meurant war in keinem Waffengeschäft gewesen. Er konnte sich die automatische Pistole demnach nur in Toulon besorgt haben, also musste sie ihm sein Bruder gegeben haben.
    Was war in Wahrheit zwischen den beiden Männern abgelaufen, in der ersten Etage jener merkwürdigen Familienpension, die als Treffpunkt für Kriminelle diente?
    Gaston Meurant wusste jetzt, dass auch sein Bruder mit Ginette geschlafen hatte, und trotzdem hatte er ihn deswegen nicht zur Rechenschaft gezogen.
    Hoffte er nicht, durch seine Reise nach Toulon etwas über den untersetzten dunkelhaarigen Mann in Erfahrung zu bringen, der mehrmals in der Woche seine Frau in die Rue Victor-Massé begleitet hatte?
    Hatte er Grund zu der Annahme, dass sein Bruder Bescheid wusste? Und hatte er am Ende gefunden, was er suchte, einen Namen, ein Indiz, das die Polizei seit Monaten

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