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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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bleichem Gesicht. Er trat zu Maki und reichte ihm die Hand. Er setzte sich aber nicht ihm gegenüber an den Tisch, sondern nahm auf der Bank Platz und legte den Abzug eines Manuskripts vor sich hin.
    »Das ist Dramin …«, erklärte Bob. »Er arbeitet gern während des Essens. Er sitzt gerade an einem Drehbuch, das er jetzt schon zum dritten oder vierten Mal umschreiben muss …«
    Die meisten Gäste kannten sich, zumindest vom Sehen, und winkten sich unauffällig zu.
    Carus und Nora waren Maigret so genau beschrieben worden, dass er die beiden sofort erkannte, vor allem Nora, die alle Blicke auf sich zog.
    An diesem Abend trug sie keine Laméhose, dafür aber ein enganliegendes Kleid aus einem durchsichtigen Stoff, der wie Zellophan wirkte, so dass man hätte meinen können, sie sei nackt. Von ihrem weißgepuderten Gesicht, das an einen Pierrot erinnerte, sah man eigentlich nur die kohlschwarzen, schwarz und grün umrandeten Augen mit Pailletten-Schimmer auf den Lidern.
    Ihr Blick, ihr Gang, ihre ganze Erscheinung hatten etwas geradezu Gespenstisches, was umso mehr auffiel, weil ihr Begleiter, ein vitaler, wohlgenährter, breitschultriger Mann, vor Gesundheit strotzte und für jeden ein leutseliges Lächeln hatte.
    Während Nora sich von Bob an ihren Tisch führen ließ, ging Carus erst noch zu Maki, dann zu Dramin, schließlich zu dem Arzt und den beiden Frauen, denen er allen die Hand schüttelte.
    Als er endlich Platz genommen hatte, beugte sich Bob zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Produzent suchte Maigret mit den Augen und sah ihn neugierig an. Fast hatte es den Anschein, als wollte er sich wieder erheben, um auch dem Kommissar die Hand zu schütteln, aber dann vertiefte er sich doch in die Speisekarte, die er diskret zugeschoben bekam, und begann mit Nora über die Zusammenstellung des Menüs zu diskutieren.
    Als Mandille wieder zu Maigret in die Nische trat, rief dieser erstaunt aus:
    »Ich dachte, die Clique würde an ein und demselben Tisch Platz nehmen!«
    »Das kommt schon mal vor … Aber es gibt Abende, an denen jeder für sich bleibt … Ab und zu setzen sie sich zum Kaffee zusammen … Manchmal essen sie auch gemeinsam … Unsere Gäste fühlen sich hier zu Hause … Wir haben fast keine Laufkundschaft und legen auch keinen Wert darauf.«
    »Wissen sie alle schon Bescheid?«
    »Sie haben natürlich die Zeitung gelesen oder im Radio davon gehört.«
    »Und was sagen sie dazu?«
    »Nichts … Das hat ihnen einen ganz schönen Schock versetzt … Ihre Anwesenheit hier ist ihnen vermutlich eher unangenehm … Was möchten Sie nach der chaudrée? … Meine Frau empfiehlt Ihnen ihre Lammkeule, garantiert von den Salzweiden …«
    »Bist du auch für Lammkeule, Lapointe? Dann also für uns beide …«
    »Eine kleine Karaffe Bordeaux?«
    Durch die Vorhänge hindurch blinkten die Lichter des Boulevards, man sah vorüberhastende oder gemächlich dahinschlendernde Fußgänger, von Zeit zu Zeit ein engumschlungenes Paar, das alle drei Schritte stehen blieb, um sich zu küssen.
    Wie Bob vorausgesagt hatte, las Dramin während des Essens in seinem Manuskript, fischte von Zeit zu Zeit einen Bleistift aus seiner Hosentasche, um Korrekturen anzubringen. Von Ricains Bekannten war er der Einzige, der sich nicht um die beiden Polizeibeamten zu kümmern schien.
    Er trug einen dunklen Konfektionsanzug und einen billigen Schlips. Man hätte ihn für einen Buchhalter oder einen Bankkassierer halten können.
    »Carus überlegt gerade, ob er mich ansprechen soll«, bemerkte Maigret, der das Paar nicht aus den Augen ließ. »Ich weiß zwar nicht, was ihm Nora zutuschelt, aber offensichtlich ist er nicht ihrer Meinung.«
    Im Geiste sah er François Ricain und Sophie vor sich, wie sie am Abend ins Lokal kamen, nach ihren Freunden Ausschau hielten und sich besorgt fragten, ob man sie einladen würde oder ob sie allein in ihrer Nische essen mussten. Hatten sie hier nicht ein wenig die Rolle der armen Verwandten gespielt?
    »Wollen Sie sie vernehmen, Chef?«
    »Nicht gleich. Nach der Lammkeule.«
    In dem Lokal war es sehr warm. Der Arzt, der zu einem Kranken gerufen worden war, kam eben wieder zurück. Sein Gesichtsausdruck gab zu erkennen, dass er sich sehr ungehalten darüber äußerte, mal wieder für nichts und wieder nichts behelligt worden zu sein.
    Wo steckte nur Fernande, die große junge Frau, die sich im Alkoholrausch an die Theke geklammert hatte? Bob war sie wohl irgendwie losgeworden. Er unterhielt

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