Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
auch nicht erfreulicher. Beide zögerten mit der Antwort, als fürchteten sie sich vor dem Wirt, und es war schwer festzustellen, ob sie die Wahrheit sagten. Maigret kehrte enttäuscht an sein Tischchen zurück und bestellte ein zweites Bier. Dann ging er hinunter zur Toilette und entdeckte unten einen dritten Kellner, der jünger war als die beiden von oben.
Er beschloss, sich hinzusetzen und etwas zu bestellen.
»Sagen Sie, arbeiten Sie manchmal auch oben?«
»An drei von vier Tagen. Wir wechseln uns ab hier unten.«
»Und gestern Abend?«
»War ich oben.«
»Auch später noch? So um halb zehn?«
»Bis zum Schluss um elf. Wir haben früh zugemacht, weil bei dem Wetter kaum jemand da war.«
»Ist Ihnen ein junger Mann mit ziemlich langen Haaren aufgefallen, der eine Wildlederjacke anhatte und einen Kassettenrecorder an einem Riemen um den Hals trug?«
»Einen Kassettenrecorder, sagen Sie?«
»Ist er Ihnen aufgefallen?«
»Ja … Die Touristensaison hat noch nicht angefangen … Ich habe geglaubt, es sei ein Fotoapparat, wie die Amerikaner welche herumtragen … Dann hat mich ein Gast etwas gefragt …«
»Was für ein Gast?«
»Am Nachbartisch waren sie zu dritt. Als der junge Mann weg war, hat ihm einer von ihnen misstrauisch und finster nachgeblickt. Dann hat er mich gerufen:
›Sag mal, Toto …‹
Ich heiße natürlich nicht Toto, aber gewisse Leute spielen sich eben gern so auf, vor allem hier im Viertel.
›Was hat der Typ getrunken?‹
›Einen Cognac …‹
›Hast du mitgekriegt, ob er seinen Apparat zum Einsatz gebracht hat?‹
›Ich habe ihn nicht fotografieren sehen …‹
›Fotografieren, du meine Güte! Ein Kassettenrecorder war das, du Knallkopf! Hast du den Typen schon mal gesehen?‹
›Nein, bisher nicht …‹
›Und mich?‹
›Ich glaube, ich habe Sie zwei- oder dreimal bedient.‹
›Gut … Bring uns noch einen.‹«
Der Kellner entfernte sich, weil ein Gast mit einer Münze auf den Tisch geklopft hatte, um sich bemerkbar zu machen. Er wollte bezahlen. Der Kellner gab ihm das Restgeld heraus und half ihm in den Mantel.
Dann kam er zurück und strich um Maigret herum.
»Sie waren zu dritt, sagten Sie?«
»Ja. Der Mann, der mich angesprochen hat und so aussah, als wäre er der Wichtigste, ist etwa fünfunddreißig und hat eine Figur wie ein Sportlehrer. Er hat braunes Haar, schwarze Augen und buschige Augenbrauen.«
»Stimmt es, dass er nur zwei- oder dreimal hier gewesen ist?«
»Er ist mir nicht öfter aufgefallen.«
»Und die anderen?«
»Der Rotgesichtige mit der Narbe treibt sich ziemlich oft im Viertel herum und trinkt ab und zu an der Theke einen Rum.«
»Und der dritte?«
»Ich habe gehört, wie ihn seine Kumpel Mimile nannten. Ich kenne ihn vom Sehen und weiß, wo er wohnt. Er hat einen Rahmenladen an der Rue du Faubourg Saint-Antoine, gleich an der Ecke zur Rue Trousseau … In der Rue Trousseau, da wohne ich …«
»Kommt er oft hierher?«
»Ein paarmal habe ich ihn gesehen, oft wäre zu viel gesagt.«
»Mit den beiden anderen?«
»Nein … Mit einer kleinen Blondine, die wahrscheinlich auch hier im Viertel wohnt, eine Verkäuferin oder so etwas.«
»Ich danke Ihnen. Sonst haben Sie mir nichts mitzuteilen?«
»Nein … Und wenn mir noch etwas einfällt, oder wenn ich die Typen wiedersehe?«
»Dann rufen Sie mich bei der Kriminalpolizei an. Falls ich nicht da bin, sprechen Sie mit einem meiner Mitarbeiter … Wie heißen Sie?«
»Julien. Julien Blond. Meine Kollegen nennen mich Blondchen, weil ich der Jüngste bin … Wenn ich mal so alt bin wie sie, werde ich hoffentlich nicht mehr als Kellner arbeiten …«
Maigret war zu nahe bei seiner Wohnung, um in die ›Brasserie Dauphine‹ essen zu gehen. Er bedauerte es fast. Er hätte gerne Janvier dorthin mitgenommen, um ihm zu berichten, was er eben entdeckt hatte.
»Hast du irgendwas herausgefunden?«, fragte ihn seine Frau.
»Ich kann noch nicht sagen, ob es interessant ist. Man muss in alle Richtungen suchen …«
Um zwei Uhr versammelte er in seinem Büro drei seiner Lieblingsinspektoren, Janvier, Lucas und den »jungen« Lapointe, der wohl auch noch mit fünfzig so heißen würde.
»Mach bitte das Tonband noch mal an, Janvier! Hört gut zu, ihr beiden …«
Lucas und Lapointe spitzten natürlich die Ohren, als die im ›Café des Amis‹ aufgenommene Stelle kam.
»Ich bin vorhin dort gewesen. Von einem der drei Männer, die dort um einen Tisch gesessen und halblaut miteinander
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