Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
Zweifel, es war die Stimme Antoine Batilles, der auf diese Weise festhielt, wo er die Aufnahme gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte er in dem Lokal am Boulevard Beaumarchais zu Abend gegessen und unauffällig sein Gerät eingeschaltet. Der Kellner würde sich bestimmt an ihn erinnern. Das war leicht nachzuprüfen.
»Da solltest du nachher gleich hinfahren«, sagte Maigret. »Mach das Gerät wieder an.«
Die eigenartigen Geräusche, die jetzt kamen, mussten auf der Straße aufgenommen worden sein, denn man hörte Autos vorbeifahren. Maigret überlegte eine ganze Weile, was der Junge hier wohl hatte aufnehmen wollen, endlich kam er darauf, dass es das Plätschern des Wassers in den Rinnsteinen und Dachrinnen war. Die Geräusche waren schwer zu identifizieren, doch dann wechselte plötzlich die Szene von neuem, und man vernahm wieder Stimmengewirr, offenbar in einer Gaststätte oder einem Bistro, jedenfalls herrschte eine gewisse Betriebsamkeit.
»Was hat er gesagt?«
»Dass es o.k. ist. «
Gedämpfte Stimmen, aber recht gut zu verstehen.
»Bist du hingefahren, Mimile?«
»Lucien und Gouvion lösen sich ab … Bei diesem Hundewetter …«
»Und das Auto?«
»Wie immer …«
»Findest du nicht auch, dass es ein bisschen nah ist?«
»Nah an was?«
»An Paris …«
»Aber da er nur freitags fährt …«
Gläser, Tassen, Stimmen. Dann Stille.
»Aufgezeichnet im ›Café des Amis‹ , Place de la Bastille. «
Das war nicht weit vom Boulevard Beaumarchais, auch nicht weit von der Rue Popincourt. Batille war nicht länger geblieben – vermutlich weil er nicht auffallen wollte – und hatte sich wieder auf den Weg durch den Regen gemacht, um anderswo aufzunehmen.
»Und was ist mit der deinen, he? Über andere dumm daherreden kann jeder, statt mal selbst zu Hause nachzuschauen, was da los ist …«
Das musste der Metzger sein, bei der Kartenpartie im ›Chez Jules‹.
»Halt du dich da raus, das würde ich dir schwer empfehlen! Du brauchst nicht zu meinen, nur weil du gewinnst …«
»Ich gewinne, weil ich meine Trümpfe nicht so blöd rausschmeiße …«
»Könntet ihr vielleicht aufhören, ihr beide?«
»Er hat aber angefangen …«
Wenn die Stimmen höher gewesen wären, hätte man es für einen Kinderstreit halten können.
»Können wir weiterspielen?«
»Ich spiele nicht mehr mit einem, der …«
»Er hat das doch bloß so dahingesagt, er hat gar niemand bestimmten gemeint …«
»Wenn das so ist, dann soll er es auch klar und deutlich sagen …«
Eine Pause.
»Siehst du, nichts, gar nichts sagt er …«
»Ich halte den Mund, weil es mir einfach zu blöd ist … Da, schau her, ich spiele meinen Trumpf aus. Und was sagst du jetzt?«
Die Tonqualität war schlecht. Die Stimmen waren zu weit vom Mikrophon entfernt, und Janvier musste die Stelle dreimal zurückspulen. Jedes Mal verstand man zwei oder drei Wörter mehr.
Batille sagte endlich:
»Im ›Chez Jules‹ , einem kleinen Bistro in der Rue Popincourt. «
»Alles?«
»Alles, ja.«
Das restliche Band war unbespielt. Antoine Batille musste die letzten Worte schon auf dem Gehsteig gesprochen haben, nur wenige Augenblicke, bevor er von einem Unbekannten erstochen wurde.
»Und die beiden anderen Kassetten?«
»Sind unbespielt, noch originalverpackt. Ich denke, er hatte sie als Reserve dabei.«
»Ist dir nichts aufgefallen?«
»Bei der Szene an der Place de la Bastille? …«
»Ja … Lass mich die Stelle noch mal hören.«
Janvier stenographierte mit. Dann spielte er den kurzen Wortwechsel noch einige Male ab, und bei jedem Anhören wurde der Sinn etwas deutlicher.
»Sieht so aus, als wären sie mindestens zu dritt.«
»Stimmt …«
»Plus die zwei, von denen sie reden, Gouvion und Lucien … Eine gute halbe Stunde später wurde Antoine in der Rue Popincourt erstochen.«
»Aber es hat ihm niemand das Tonband abgenommen …«
»Vielleicht, weil die Pagliatis schon zu nah waren …«
»Eines habe ich vergessen, als wir in der Rue Popincourt waren. Gestern Abend habe ich an einem Fenster im zweiten Stock eine alte Frau bemerkt, ziemlich genau gegenüber der Stelle, wo der Mord verübt wurde.«
»Ich verstehe. Soll ich gleich hinfahren?«
Als Maigret allein war, stellte er sich vor das Fenster. Die Batilles waren jetzt sicherlich schon im Krankenhaus gewesen, und der Gerichtsmediziner würde bald die Autopsie vornehmen können.
Maigret hatte die Schwester des Toten noch nicht zu Gesicht bekommen, diese Minou, wie sie in der Familie
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