Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
und zupfte P’tit Louis zaghaft am Ärmel. Sie begannen, bretonisch miteinander zu sprechen.
»Was sagt er?«
»Daß es Zeit ist, schlafen zu gehen.«
»Ist er dein Freund?«
P’tit Louis zuckte die Schultern, und als der andere ihm sein Glas wegnehmen wollte, griff er schnell danach und trank es trotzig in einem Zug leer.
Der Bretone hatte buschige Augenbrauen und lockiges Haar.
»Setz dich zu uns«, sagte Maigret zu ihm.
Aber der Matrose ging ohne ein Wort zu sagen an einen anderen Tisch, von wo aus er die beiden Männer in den Augen behielt.
Die Atmosphäre war gespannt, drückend. Im Nebenzimmer, das viel freundlicher und sauberer war, hörte man die Touristen Domino spielen.
»Viel Kabeljau gefangen?« fragte Maigret, der sein Ziel so hartnäckig wie eine Bohrmaschine verfolgte.
»Einen Dreck! Als wir ankamen, war die Hälfte verfault.«
»Wie das?«
»Nicht genug gesalzen! Oder zu stark! Eine Schweinerei! Nicht ein Drittel der Männer wird nächste Woche wieder an Bord gehen.«
»Die ›Océan‹ läuft noch einmal aus?«
»Parbleu! Wofür sonst wären Motorschiffe wohl nützlich? Die Segelschiffe schaffen nur eine Fahrt, von Februar bis September. Aber die Dampfer sind so schnell, daß sie zweimal zu den Fischbänken rausfahren können.«
»Kehrst du auf das Schiff zurück?«
P’tit Louis spuckte auf den Boden und zuckte überdrüssig die Schultern.
»Ich würde so gerne nach Fresnes gehen. Eine Scheißfahrt war das!«
»War der Kapitän daran schuld?«
»Ich habe nichts zu sagen.«
Er hatte einen Zigarettenstummel entdeckt und ihn angesteckt. Plötzlich wurde ihm übel und er rannte hinaus auf die Straße, wo er sich am Randstein übergab. Der Bretone eilte ihm nach.
»Wenn das kein Jammer ist«, seufzte der Wirt. »Vorgestern hatte er nahezu tausend Francs in der Tasche. Und heute steht er fast schon wieder bei mir in der Kreide. Austern und Languste! Ganz zu schweigen von dem, was er allen zu trinken spendiert! Als wüßte er nicht, was anfangen mit seinem Geld!«
»Kannten Sie den Funker von der ›Océan‹?«
»Er schlief hier. Genau an diesem Tisch nahm er seine Mahlzeiten ein und ging dann in den anderen Raum, um in Ruhe schreiben zu können.«
»An wen?«
»Oh! Er schrieb nicht nur Briefe! Auch so etwas wie Gedichte oder Romane, könnte man sagen. Ein gebildeter, wohlerzogener Junge. Jetzt, da ich weiß, daß Sie von der Polizei sind, kann ich Ihnen ruhig sagen, daß es ein Fehler war, ihn …«
»Was nichts daran ändert, daß der Kapitän ermordet wurde!«
Schulterzucken. Der Wirt nahm Maigret gegenüber Platz. P’tit Louis kam wieder herein und ging zur Theke, wo er zu trinken bestellte. Immer noch ermahnte ihn sein Freund in breitem Bretonisch, ruhig zu sein.
»Man darf das nicht zu ernst sehen. Einmal an Land, sind sie alle so. Sie trinken, sie schreien herum, sie prügeln sich, werfen die Fenster ein. Aber auf dem Schiff, da schuften sie wie besessen! Sogar P’tit Louis! Der Chefmaschinist der ›Océan‹ sagte mir noch gestern, daß er die Arbeit von zwei Männern packt … Draußen auf See ist ein Ventil in der Dampfleitung herausgesprungen. Es war gefährlich. Keiner wollte hin und es reparieren. Schließlich hat P’tit Louis das übernommen. Sobald ihnen das Trinken verboten ist …«
Léon senkte die Stimme und blickte mißtrauisch in die Runde seiner Gäste.
»Dieses Mal haben sie vielleicht aber noch andere Gründe, sich vollaufen zu lassen … Ihnen werden sie nichts sagen, weil Sie keiner von ihnen sind. Aber ich höre, worüber sie sich unterhalten. Ich war früher Lotse. Es gibt Dinge …«
»Was für Dinge?«
»Es ist schwer zu sagen. Wissen Sie, es gibt in Fécamp für all die Schiffe nicht genügend Fischer. Also läßt man Leute aus der Bretagne kommen. Diese Jungs haben ihre eigenen Vorstellungen, und sie sind abergläubisch …«
Er sprach jetzt noch leiser, so daß Maigret ihn kaum noch verstehen konnte.
»Es scheint, daß diese Fahrt mit dem bösen Blick behaftet war … Es hat schon bei der Abfahrt im Hafen begonnen. Ein Matrose hatte einen Lademasten erklommen, um seiner Frau zuzuwinken. Er hielt sich an einem Tau fest, es löste sich plötzlich und er fiel auf Deck und zerschmetterte sich ein Bein. Er mußte in einem Flachboot an Land gebracht werden … Dann war da noch ein Schiffsjunge, der heulte und jammerte, weil er nicht mitfahren wollte … Nun gut. Drei Tage später kommt die Nachricht, daß eine Welle ihn über Bord gespült
Weitere Kostenlose Bücher