Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
Schritt halten, das erst außerhalb der Molen die Fahrt beschleunigen würde. Man rief den Ausfahrenden noch gute Wünsche nach.
»Wenn du die ›Atlantik‹ triffst, vergiß nicht, Dugodet zu sagen, daß seine Frau …«
Der Himmel war immer noch bedeckt. Der Wind kam aus allen Richtungen und wühlte kleine weiße Wellen auf, die wild gegen die Kaimauer schlugen.
Ein Pariser in Flanellhosen, den zwei weißgekleidete, lachende Mädchen begleiteten, fotografierte das ausfahrende Schiff.
Maigret hätte fast eine Frau umgestoßen, die sich an seinen Arm klammerte und die ihn fragte:
»Nun? Geht’s ihm besser?«
Es war Adèle. Ihr Gesicht glänzte, sie hatte bestimmt schon seit dem Morgen keinen Puder mehr aufgelegt.
»Buzier?« erkundigte sich Maigret.
»Er hat es vorgezogen, nach Le Havre zu verschwinden. Ich habe ihm gesagt, daß ich nichts mehr von ihm wissen will. Aber wie geht’s dem Jungen, Pierre Le Clinche?«
»Weiß nicht.«
»Sagen Sie es mir!«
Aber er tat es nicht. Er ließ sie stehen. Er hatte eine kleine Gruppe auf der Mole erspäht: Marie Léonnec, ihr Vater und Madame Maigret. Alle drei schauten dem Fischdampfer nach, der sich einen Augenblick lang in ihrer Höhe befand, und Marie Léonnec meinte inbrünstig:
»Das ist sein Schiff.«
Maigret ging langsam und mit brummigem Gesicht auf sie zu. Seine Frau entdeckte ihn als erste unter der Menge, die der Abfahrt der »Neufundländer« zugeschaut hatte.
»Ist er gerettet?«
Monsieur Léonnec wandte ihm ängstlich seine unförmige Nase zu.
»Ach! Ich bin sehr froh, Sie zu sehen. An welchem Punkt ist die Untersuchung angelangt, Herr Kommissar?«
»Nirgends.«
»Das heißt?«
»Nichts. Ich weiß nichts.«
Marie riß die Augen auf.
»Aber Pierre?«
»Die Operation ist gelungen. Er scheint gerettet zu sein.«
»Er ist unschuldig, nicht wahr? Ich flehe Sie an! Sagen Sie meinem Vater, daß er unschuldig ist!«
Die Worte kamen aus ganzem Herzen. Und Maigret schaute sie an und stellte sie sich zehn Jahre älter vor, mit den Zügen ihres Vaters und einer etwas strengeren Miene, die genau richtig war, um den Kunden in ihrem Laden zu imponieren.
»Er hat den Kapitän nicht getötet«, sagte er und wandte sich dann an seine Frau.
»Ich habe vorhin ein Telegramm bekommen. Wir müssen nach Paris zurück.«
»Schon? Ich hatte Mademoiselle Marie versprochen, morgen mit ihr baden zu gehen.«
Aber sie verstand seinen Blick.
»Entschuldigen Sie uns …«
»Dürfen wir Sie bis zum Hotel begleiten?«
Maigret entdeckte den Vater Jean-Maries, der völlig betrunken war und drohend seine Faust zu dem Schiff hinüber schwenkte. Er schaute weg.
»Bitte bemühen Sie sich nicht.«
»Noch eines«, meinte Monsieur Léonnec, »glauben Sie, ich könnte ihn nach Quimper überführen lassen? Die Leute werden zwar reden, aber …«
Marie schaute ihn bittend an. Sie war sehr blaß.
»Da er ja unschuldig ist!« stammelte sie.
Maigrets Gesicht verhärtete sich und er sah sie mit einem undeutbaren Blick an.
»Ich weiß nicht … Sie wissen besser …«
»Erlauben Sie mir, Ihnen trotzdem noch etwas anzubieten. Eine Flasche Champagner?«
»Danke.«
»Einen kleinen Likör! Einen Benediktiner zum Beispiel, der ja aus dieser Gegend kommt?«
»Ein Bier.«
Oben im Zimmer packte Madame Maigret die Koffer.
»Nun, Sie sind auch meiner Meinung, nicht wahr? Er ist ein anständiger Junge, der …«
Da war immer noch dieser Blick des Mädchens, dieser Blick, der ihn anflehte, ja zu sagen!
»Ich denke, er wird ein guter Ehemann sein.«
»Und ein guter Geschäftsmann!« fuhr der Vater lobend fort. »Denn ich werde nicht zulassen, daß er monatelang auf See ist. Wenn man verheiratet ist, gehört es sich, daß man …«
»Selbstverständlich!«
»Zumal ich keinen Sohn habe. Sie verstehen das bestimmt!«
»Ja.«
Maigret behielt die Treppe im Auge. Endlich kam seine Frau herunter.
»Die Koffer sind fertig. Aber der nächste Zug scheint erst um …«
»Das spielt keine Rolle. Wir werden einen Wagen mieten.«
Es war eine Flucht!
»Wenn Sie einmal nach Quimper kommen sollten.«
»Ja, ja.«
Dieser Blick des Mädchens! Sie schien begriffen zu haben, daß die Dinge gar nicht so klar waren, wie es den Anschein hatte, aber ihre Augen beschworen Maigret zu schweigen.
Sie wollte ihren Verlobten behalten.
Der Kommissar drückte ihnen die Hände, bezahlte seine Rechnung, trank sein Bier aus.
»Wir danken Ihnen tausendmal, Monsieur Maigret.«
»Es gibt wirklich nichts zu
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