Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes
etwas verrückten Umgebung wie dem Montparnasse, findet er es amüsanter, ein schönes Verbrechen zu begehen!
Ein schönes Verbrechen! Er ist mittellos, er ist krank. Aber von dieser einen, einzigen Handlung werden die Zeitungen voll sein! Auf ein einziges Zeichen von ihm wird sich die ganze Justizmaschinerie in Bewegung setzen! Es wird eine Tote geben! Ein Crosby wird das Fürchten lernen …
Und er wird hinter seinem Café crème sitzen und als einziger die Wahrheit wissen; ganz allein wird er seine Macht auskosten.
Alles steht und fällt damit, daß er sich nicht erwischen läßt. Und dafür sorgt man am besten, indem man der Justiz einen falschen Schuldigen in den Rachen wirft …
Eines Abends, auf einer Café-Terrasse, hat er Heurtin kennengelernt. Er hat ihn beobachtet, wie er jedermann beobachtet. Er hat ihn angesprochen …
Heurtin ist ein Außenseiter wie Radek. Er hätte im Gasthaus seiner Eltern ein friedliches Leben führen können. In Paris, als Laufbursche mit einem Monatslohn von sechshundert Franc, ist er unglücklich, flüchtet sich in Wunschträume, verschlingt Groschenromane, läuft in die Kinos, sieht sich als Held in großartigen Abenteuern.
Ein Junge ohne jede Tatkraft. Wie soll er dem Einfluß des Tschechen widerstehen?
›Willst du in einer einzigen Nacht und ohne jedes Risiko so viel Geld verdienen, daß du hinterher leben kannst, wie es dir paßt?‹
Heurtin fiebert. Radek hat ihn in der Hand. Radek schwelgt im Bewußtsein seiner Macht, redet auf ihn ein, bringt ihn so weit, daß er in einen Einbruch einwilligt.
›Nichts als ein Einbruch in ein leerstehendes Haus!‹
Er entwirft einen Plan, legt das Vorgehen seines Komplizen in allen Einzelheiten fest. Er ist es, der Heurtin rät, sich Schuhe mit Gummisohlen zu kaufen, angeblich um Lärm zu vermeiden. In Wirklichkeit will er sicher sein, daß Heurtin deutliche Spuren am Tatort hinterlassen wird.
Für Radek muß es eine geradezu berauschende Zeit gewesen sein. Er muß sich allmächtig gefühlt haben, er, der sich nicht einmal einen Aperitif leisten konnte!
Und tagtäglich saß er in Crosbys nächster Nähe, und der hatte keine Ahnung, wer er war. Radek aber spürte, wie das Warten an Crosbys Nerven zerrte, wie er es zusehends mit der Angst zu tun bekam.
Was mich auf die Wahrheit über die Ereignisse in der Villa in Saint-Cloud gebracht hat, Herr Richter, das war ein Satz im Arztbericht. Man liest die Berichte der Experten eben nie sorgfältig genug durch. Erst vor vier Tagen fiel mir eine Kleinigkeit darin auf.
Der Gerichtsmediziner schreibt:
›Mehrere Minuten nach Madame Hendersons Tod ist ihre Leiche, die auf der Bettkante gelegen haben muß, zu Boden gerollt.‹
Sie müssen zugeben, daß der Mörder keinen Grund hatte, mehrere Minuten nach dem Verbrechen eine Leiche zu berühren, die weder Schmuck noch sonst etwas trug außer einem Nachthemd …
Aber ich will der Reihe nach erzählen. Den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse hat Radek mir heute nacht bestätigt.
Er vereinbart mit Heurtin, daß dieser um punkt halb drei in die Villa eindringt, in den ersten Stock hinaufgeht, das Schlafzimmer betritt – und zwar, ohne Licht zu machen. Er hat ihm geschworen, daß niemand im Haus sein wird. Er hat ihm erklärt, wo sich das Geld befindet: an der Stelle, wo in Wirklichkeit das Bett steht.
Um zwei Uhr zwanzig tötet Radek die beiden Frauen, versteckt die Waffe im Kleiderschrank und verläßt das Haus. Draußen paßt er die Ankunft Joseph Heurtins ab, der sich genau an seine Anweisungen hält.
Wie nun aber Heurtin durch das Dunkel tappt, stößt er plötzlich an einen leblosen Körper. Dieser fällt zu Boden. Heurtin erschrickt, knipst die Lampe an, entdeckt die Leichen, vergewissert sich, daß die beiden Frauen wirklich tot sind, hinterläßt überall blutige Fingerabdrücke …
Als er schließlich entsetzt die Flucht ergreift, läuft er draußen Radek in die Arme, einem völlig veränderten, höhnischen, grausamen Radek.
Zwischen den beiden Männern muß sich eine unbeschreibliche Szene abgespielt haben. Was aber konnte ein einfältiger Bursche wie Heurtin gegen einen Radek ausrichten?
Der Tscheche zeigt ihm seine Gummihandschuhe, seine Wollsocken, dank derer er nicht die geringste Spur im Haus hinterlassen hat.
›Sie werden dich verurteilen. Man wird dir nicht glauben. Niemand wird dir glauben. Sie werden dich hinrichten!‹
Ein Taxi erwartet sie in Boulogne, am anderen Ufer der Seine. Und Radek spricht
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