Maigret und das Schattenspiel
Ein untersetzter Reisender versuchte, die Tür des Abteils zu öffnen, merkte, daß sie verriegelt war, blieb einen Moment stehen, um die Nase gegen die Scheibe zu pressen und hineinzusehen, und machte sich dann resigniert auf die Suche nach einem anderen Platz.
»Wenn ich doch alles gestehe, nicht wahr? Es hat keinen Zweck, zu leugnen …«
Genau so, als ob er mit einem Tauben spräche oder mit einem Mann, der nicht ein Wort Französisch versteht. Maigret stopfte seine Pfeife sorgfältig mit dem Zeigefinger.
»Haben Sie Streichhölzer?«
»Nein. Ich rauche nicht. Das wissen Sie doch. Meine Frau mag den Tabakgeruch nicht … Ich möchte, daß es schnell vorbei ist, verstehen Sie? Das werde ich dem Verteidiger sagen, den zu nehmen ich verpflichtet sein werde. Keine Komplikationen! Ich gestehe alles … Ich habe in der Zeitung gelesen, daß man einen Teil der Scheine wiedergefunden hat. Ich weiß nicht, warum ich das tat … Als ich sie in meiner Tasche fühlte, war mir, als ob mich alle Leute auf der Straße anstarrten. Zuerst dachte ich daran, sie irgendwo zu verstecken … Aber wozu?
Ich ging den Kai entlang. Dort lagen Schleppkähne. Ich fürchtete, von einem Schiffer gesehen zu werden …
Also ging ich über die Pont Marie, und auf der Ile Saint-Louis konnte ich das Bündel loswerden …«
Das Abteil war überheizt. Das Schwitzwasser rieselte die Scheiben hinab. Um die Deckenleuchte herum verteilte sich der Rauch nach den Seiten.
»Ich hätte Ihnen gleich beim ersten Mal, als ich Sie sah, alles gestehen sollen … Ich hatte nicht den Mut dazu … Ich hatte gehofft, daß …«
Martin stockte und sah neugierig seinen Begleiter an, der den Mund leicht geöffnet und die Augen geschlossen hatte. Ein gleichmäßiger Atem wie das Schnurren eines großen, zufriedenen Katers!
Maigret schlief!
Der andere warf einen Seitenblick zur Tür, die er nur hätte aufzuschieben brauchen. Und wie um der Versuchung zu entfliehen, kauerte er sich in eine Ecke und preßte die Schenkel zusammen, die fahrigen Hände auf den mageren Knien.
Gare du Nord. Ein grauer Morgen. Die unausgeschlafene Menge aus den Vororten drängte wie eine Herde durch die Sperren.
Der Zug hatte weit außerhalb der Halle gehalten. Die Koffer waren schwer. Martin wollte aber nicht stehenbleiben. Er war außer Atem, und seine Arme taten ihm weh.
Sie mußten ziemlich lange auf ein Taxi warten.
»Bringen Sie mich zum Gefängnis?«
Sie hatten fünf Stunden im Zug verbracht, und Maigret hatte keine zehn Sätze gesagt. Und selbst die hatten keinerlei Bezug zu dem Verbrechen oder zu den dreihundertsechzigtausend Francs! Er hatte von seiner Pfeife gesprochen oder über die Hitze oder über die Ankunftszeit.
»Place des Vosges Nummer 61!« sagte er zu dem Fahrer.
Martin bettelte:
»Glauben Sie, daß es nötig ist, daß …«
Und zu sich selbst:
»Was werden sie im Büro denken! Ich hatte nicht einmal die Zeit gehabt, Bescheid zu sagen …«
In ihrer Loge sortierte die Concierge die Post: Ein großer Stoß für die Serumfirma und ein kleines Häufchen für den Rest des Hauses.
»Monsieur Martin! Monsieur Martin! Es war jemand von der Registerbehörde hier und hat gefragt, ob Sie krank seien … Offenbar haben Sie den Schlüssel vom …«
Maigret zog seinen Gefährten mit sich fort. Und Martin schleppte seine schweren Koffer die Treppen hoch, vorbei an den Milchkannen und frischen Broten, die vor den Türen standen.
Die Tür der alten Mathilde bewegte sich.
»Geben Sie mir den Schlüssel.«
»Aber …«
»Dann öffnen Sie selbst.«
Eine tiefe Stille. Das Klicken des Riegels. Dann sah man das aufgeräumte Eßzimmer, in dem alles exakt an seinem Platz stand.
Martin zögerte lange, bevor er mit lauter Stimme sagte:
»Ich bin es! … Und der Kommissar …«
Nebenan bewegte sich jemand im Bett. Martin schloß die Tür hinter sich und jammerte:
»Wir hätten nicht herkommen sollen … Sie hat doch nichts damit zu tun, nicht wahr? Und in ihrem Zustand …«
Er wagte nicht, in das Zimmer hineinzugehen. Um Haltung zu bewahren, nahm er seine Koffer wieder auf und legte sie auf zwei Stühle.
»Soll ich Kaffee machen?«
Maigret klopfte an die Tür des Schlafzimmers.
»Darf man hereinkommen?«
Keine Antwort. Er drückte die Klinke herunter und sah sich unvermittelt dem starren Blick von Madame Martin gegenüber, die unbeweglich im Bett lag, das Haar mit Nadeln aufgesteckt.
»Entschuldigen Sie die Störung … Ich habe Ihnen Ihren Mann
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