Maigret und das Schattenspiel
Ansehung des Gesetzes vom …
Angesichts der Tatsache, daß Roger Couchet nach seinem Vater verstorben ist …
… daß kein Testament einem ehelichen Abkömmling den diesem zustehenden gesetzlichen Erbteil entziehen kann …
… daß die zweite Ehe des Erblassers mit Madame Couchet geb. Dormoy unter dem Güterstand der Gütergemei n schaft geschlossen wurde …
… daß Sie als Mutter Roger Couchets dessen gesetzliche Erbin sind …
… beehren wir uns, Ihnen zu bestätigen, daß Sie Anspruch auf die Hälfte des von Raymond Couchet hinterlassenen beweglichen und unbeweglichen Vermögens haben, dessen Wert wir nach den von uns eingezogenen Inform a tionen – Irrtum vorbehalten – auf ca. fünf Millionen schätzen, von denen etwa drei Millionen auf den Firme n wert der unter dem Namen »Dr. Rivières Seren« bekannten Firma entfallen …
Wir stehen Ihnen für alle zur Anfechtung des Testamentes erforderlichen Maßnahmen zur Verfügung und …
…
… bestätigen wir Ihnen, daß wir von den auf diese Weise beigetriebenen Beträgen eine Provision von zehn Prozent ( 10 %) für unsere Bemühungen einbehalten werden …
Madame Martin hatte aufgehört zu weinen. Sie hatte sich wieder hingelegt, und ihre kalten Augen starrten erneut zur Decke.
Martin blieb in der Türöffnung stehen, verwirrter als je zuvor, und wußte nicht, was er mit seinen Händen, seinen Augen, seinem ganzen Körper machen sollte.
»Da ist noch ein Postskriptum!« murmelte der Kommissar zu sich selbst.
Dieses Postskriptum trug den Vermerk: Streng vertraulich!
Wir haben Grund zu der Annahme, daß Madame Couchet geb. Dormoy ebenfalls beabsichtigt, das Testament anz u fechten.
Darüber hinaus haben wir Erkundigungen über die dritte Begünstigte, Nine Moinard, eingezogen.
Es handelt sich um eine Frau von zweifelhaftem Lebenswandel, die bisher noch keine Schritte unternommen hat, um ihre Rechte geltend zu machen.
Da sie zur Zeit auch über keinerlei Mittel verfügt, dürfte es sich im Interesse der Beschleunigung der Sache empfehlen, ihr eine gewisse Summe als Entschädigung anzubieten.
Aus unserer Sicht würden wir einen Betrag von zwanzigtausend Francs vorschlagen, der für eine Person in der S i tuation von Mademoiselle Moinard hinlänglich attraktiv sein dürfte.
Wir sehen Ihrer Entscheidung in diesem Punkt entgegen.
Maigret hatte seine Pfeife ausgehen lassen. Er faltete das Papier langsam wieder zusammen und steckte es in seine Brieftasche.
Um ihn herum herrschte absolutes Schweigen. Martin hielt sogar seinen Atem an. Seine Frau, die mit starrem Blick auf dem Bett lag, glich bereits einer Toten.
»Zweieinhalb Millionen Francs …« murmelte der Kommissar. »Abzüglich der zwanzigtausend Francs für Nine, damit sie keine Schwierigkeiten macht … Aber davon wird Madame Couchet bestimmt die Hälfte übernehmen …«
Er war sicher, ein kaum sichtbares, aber beredtes Lächeln des Triumphes auf den Lippen der Frau bemerkt zu haben.
»Eine hübsche Summe! … Sagen Sie mal, Martin …«
Monsieur Martin zitterte und nahm unwillkürlich eine abwehrende Haltung ein.
»Was glauben Sie, was Sie bekommen werden? … Ich meine nicht das Geld. Ich spreche von Ihrer Verurteilung. Diebstahl. Mord. Vielleicht erkennt das Gericht auch auf vorbedachten Mord … Was meinen Sie? Ein Freispruch kommt natürlich nicht in Betracht, denn es handelt sich schließlich nicht um ein Verbrechen aus Leidenschaft … Wenn Ihre Frau wenigstens wieder Beziehungen zu ihrem ersten Mann aufgenommen hätte! Aber das ist nicht der Fall. Es ging um Geld, um nichts als Geld … Zehn Jahre? Zwanzig Jahre? Wollen Sie wissen, was ich schätzen würde?
Aber denken Sie daran, daß niemand die Entscheidung der Geschworenen voraussagen kann …
Immerhin gibt es Präzedenzfälle … Nun gut! Man kann jedenfalls sagen, daß sie im allgemeinen, so milde sie bei Liebesdramen auch sein mögen, bei Verbrechen aus Gewinnsucht extrem hart urteilen …«
Er redete, als wollte er damit nur Zeit gewinnen.
»Das ist ja auch verständlich! Es sind Kleinbürger, biedere Kaufleute. Sie glauben, nichts von Maitressen befürchten zu müssen, denn entweder haben sie keine, oder sie sind sich ihrer sicher. Aber vor Dieben haben sie alle Angst … Zwanzig Jahre? … Nein, das glaube ich nicht! Ich würde eher sagen, die Todesstrafe …«
Martin rührte sich nicht mehr. Er war jetzt noch aschfahler als seine Frau. Er mußte sich am Türrahmen festhalten.
»Madame Martin
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