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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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zurückgebracht, der den Fehler begangen hat, die Nerven zu verlieren.«
    Martin stand hinter ihm. Er spürte es, ohne ihn sehen zu können.
    Schritte hallten im Hof, und man hörte Stimmen, vor allem Frauenstimmen: das Personal der Büros und Laboratorien traf ein. Es war eine Minute vor neun.
    Nebenan ein erstickter Schrei der Verrückten. Medikamente auf dem Nachttisch.
    »Geht es Ihnen schlechter?«
    Er wußte genau, daß sie nicht antworten würde, daß sie trotz allem an der gleichen verbissenen Zurückhaltung festhalten würde.
    Als ob sie Angst hätte, ein Wort, ein einziges Wort zu sagen! Als ob ein Wort Katastrophen auslösen könnte!
    Sie war abgemagert. Ihr Teint war noch fahler geworden. Aber ihre Augen, diese merkwürdigen grauen Augen hatten ihr trotziges, leidenschaftliches Eigenleben behalten.
    Martin kam herein, mit weichen Knien. Durch seine ganze Haltung schien er sich zu entschuldigen, um Verzeihung zu bitten.
    Die grauen Augen richteten sich langsam auf ihn, so hart und eisig, daß er den Kopf zur Seite wandte und stammelte:
    »Es war am Bahnhof in Jeumont … Eine Minute später, und ich wäre in Belgien gewesen …«
    Worte, Sätze, Lärm wären nötig gewesen, um diese Leere zu füllen, die man um jede Person herum spürte. Eine Leere, die man mit Händen greifen konnte und in der die Stimmen wie in einem Tunnel oder in einer Höhle widerhallten.
    Aber niemand sprach. Mühsam fielen einige Silben, begleitet von ängstlichen Blicken, dann senkte sich die Stille wieder wie ein unerbittlicher Nebel herab.
    Und dennoch geschah etwas, langsam und verstohlen: eine Hand, die unter der Decke hochglitt und sich in einer unmerklichen Bewegung unter das Kopfkissen schob.
    Die magere, feuchte Hand Madame Martins. Maigret verfolgte diese Bewegung, während er in eine andere Richtung blickte, und wartete auf den Augenblick, in dem die Hand ihr Ziel erreichen würde.
    »Kommt der Arzt heute morgen nicht vorbei?«
    »Ich weiß nicht … Wer kümmert sich denn schon um mich? Ich liege hier wie ein Tier, das man verenden läßt …«
    Aber ihr Blick wurde noch klarer, weil ihre Hand endlich erreicht hatte, was sie suchte.
    Ein kaum wahrnehmbares Rascheln von Papier. Maigret machte einen Schritt nach vorn und ergriff Madame Martin am Handgelenk. Sie schien kraftlos, fast ohne Leben zu sein. Und trotzdem entwickelte sie von einer Sekunde auf die andere eine unerhörte Energie.
    Sie wollte nicht loslassen, was sie in der Hand hielt. Im Bett sitzend, verteidigte sie sich wütend. Es gelang ihr, die Hand zum Mund zu zerren. Mit den Zähnen zerriß sie das Blatt, das ihre Hand umklammerte.
    »Lassen Sie mich los! Lassen Sie mich los, oder ich schreie! Und du? Du stehst dabei und tust nichts?«
    »Herr Kommissar … Ich flehe Sie an …« jammerte Martin.
    Er horchte ängstlich. Er fürchtete, die anderen Mieter würden zusammenlaufen. Er wagte nicht, sich einzumischen.
    »Wüstling! Dreckiger Wüstling! Eine Frau zu schlagen!«
    Nein! Maigret schlug sie nicht. Er begnügte sich damit, ihre Hand festzuhalten, indem er das Handgelenk vielleicht etwas unsanft drückte, um die Frau daran zu hindern, das Papier zu vernichten.
    »Schämen Sie sich nicht? Eine Frau an der Schwelle des Todes …«
    Eine Frau, die eine Energie entfaltete, wie Maigret sie in seiner ganzen Laufbahn bei der Polizei selten erlebt hatte! Sein Hut fiel auf das Bett. Plötzlich biß sie den Kommissar in das Handgelenk.
    Aber sie konnte nicht lange Widerstand leisten, so angegriffen waren ihre Nerven, und es gelang Maigret schließlich, ihre Finger auseinanderzubiegen, während sie einen Schmerzensschrei ausstieß.
    Jetzt weinte sie. Sie weinte ohne Tränen, vor Enttäuschung, oder vor Wut; vielleicht war es aber auch nur Theater.
    »Und du, du läßt es zu, daß er mich …«
    Maigrets Rücken war zu breit für das schmale Zimmer. Er schien den ganzen Raum zu füllen, das Licht abzufangen.
    Er näherte sich dem Kamin und entfaltete das Blatt Papier, dessen Ecken fehlten, und überflog den maschinengeschriebenen Text, der unter dem Briefkopf stand:
     
    Maîtres Laval & Piollet
    Mitglieder der Anwaltskammer von Paris
    Rechtsanwälte – Prozeßbevollmächtigte
     
    Rechts, in Rot, der Vermerk: Angelegenheit Couchet/ Ma r tin. Beratung vom 18 . November.
    Zwei Seiten gedrängter, engzeilig geschriebener Text. Maigret las nur Bruchstücke daraus, halblaut, während man draußen die Schreibmaschinen in den Büros der Serumfirma klappern hörte.
     
    In

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