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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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strafbaren Handlung schuldig gemacht hätten …«
    Für die Dauer eines Augenblickes schien es, als werde van Damme seine Selbstsicherheit wiederfinden und seine gute Laune, werde womöglich gar die Einladung zum Essen annehmen und sein Verhalten bei Luzancy als Ungeschicklichkeit oder dummen Streich auslegen.
    Aber Maigrets Lächeln ließ diese optimistische Anwandlung im Keim ersticken. Van Damme griff nach seinem Hut, setzte ihn mit einer schroffen Gebärde auf.
    »Was schulde ich Ihnen für den Wagen?«
    »Ganz und gar nichts. Es war mir ein Vergnügen, Ihnen gefällig sein zu können …«
    War da nicht ein Zittern um Joseph van Dammes Lippen? Er wußte nicht, wie er seinen Abgang handhaben sollte, suchte nach einer Entgegnung, zuckte schließlich mit den Achseln und wandte sich brummelnd zur Tür. Schwer zu sagen, auf wen oder was sich das Wort bezog, das er beim Hinausgehen knurrte:
    »Idiot!«
    Im Treppenhaus wiederholte er es noch einmal, während der Kommissar ihm, die Ellbogen auf das Geländer gestützt, nachblickte.
    Soeben kam Wachtmeister Lucas auf dem Weg zum Büro des Chefs mit einem Stapel Akten vorbei.
    »Schnell, schnapp dir Mantel und Hut und bleib dem Kerl dort auf den Fersen! Folg ihm bis ans Ende der Welt, wenn’s sich nicht vermeiden läßt …«
    Damit nahm Maigret dem Untergebenen die Akten ab.
     
    Der Kommissar hatte gerade eine Reihe Antragsformulare ausgefüllt, die – jeweils mit einem Namen versehen – an die verschiedenen Gendarmerieposten übermittelt und mit genauer Auskunft über die Betroffenen zurückkommen würden. Es handelte sich um: Maurice Belloir, stellvertretender Bankdirektor, Rue de Vesle, Reims, gebürtig aus Lüttich; Jef Lombard, Fotograveur, wohnhaft in Lüttich; Gaston Janin, Bildhauer, Rue Lepic, Paris; und Joseph van Damme, Handelsmakler in Bremen.
    Er war bei dem letzten Formular angelangt, als ihm der Bürodiener meldete, ein Mann wünsche ihn im Zusammenhang mit dem Selbstmord Louis Jeunets zu sprechen.
    Es war schon spät und die meisten Büros der Kriminalpolizei leer. Nur im Nachbarraum tippte noch ein Inspektor seinen Bericht.
    »Führen Sie ihn herein!«
    Der Besucher blieb bei der Tür stehen. Er wirkte unsicher oder furchtsam, bereute womöglich schon, den Schritt unternommen zu haben.
    »Treten Sie näher! Nehmen Sie Platz!«
    Ein Blick genügte Maigret, um ihn einzuschätzen. Er war groß und dürr, sehr blond und schlecht rasiert. Seine abgetragene Kleidung ließ an die Louis Jeunets denken: der Mantel, an dem ein Knopf fehlte, dessen Kragen speckig und dessen Aufschläge verstaubt waren.
    An allerlei Kleinigkeiten noch, seiner Art, sich zu geben, sich zu setzen, um sich zu blicken, erkannte der Kommissar den Gelegenheitsarbeiter, der sein Unbehagen der Polizei gegenüber auch dann nicht recht abzuschütteln vermag, wenn er sich einmal nichts zuschulden hat kommen lassen.
    »Sie kommen wegen dem Bild, das die Zeitungen gebracht haben? Warum haben Sie sich nicht gleich gemeldet? Das Foto ist vor drei Tagen erschienen …«
    »Ich lese keine Zeitung«, begann der Mann, »meine Frau hat zufällig mit den Einkäufen ein Blatt als Einwickelpapier heimgebracht …«
    Irgendwo war Maigret dies lebhafte Mienenspiel, dies unablässige Beben der Nasenflügel und vor allem dieser fast krankhaft unstete Blick schon einmal aufgefallen.
    »Haben Sie Louis Jeunet gekannt?«
    »Ich weiß nicht … Das Bild ist schlecht, aber es könnte … Ich glaube, es ist mein Bruder.«
    Unwillkürlich stieß Maigret einen Seufzer der Erleichterung aus, und in dem Gefühl, das ganze Geheimnis werde sich nun mit einem Mal lüften, schlenderte er zum Ofen hinüber, wo er sich in einer Haltung aufbaute, die er nur wenn er guter Laune war einzunehmen pflegte.
    »Also heißen Sie Jeunet?«
    »Nein, das ist es eben. Deshalb bin ich auch nicht gleich gekommen … Aber es ist mein Bruder! Jetzt, wo ich ein besseres Foto auf Ihrem Schreibtisch sehe, bin ich ganz sicher. Diese Narbe da! … Ich verstehe bloß nicht, warum er sich umgebracht hat, und vor allem, weshalb er den Namen gewechselt hat.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Armand Lecocq d’Arneville. Ich habe meine Papiere dabei …«
    Und wieder verriet die Geste, mit der seine Hand in die Tasche fuhr, um einen schmierigen Paß zutage zu fördern, den Herumtreiber, der daran gewöhnt ist, verdächtigt zu werden und sich ausweisen zu müssen.
    »D’Arneville, mit einem kleinen d und Apostroph?«
    »Ja.«
    »Sie sind in Lüttich

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