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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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möchtest. Du weißt ja in welchem Schrank … Meine Schwägerin hat mir gerade einen selbstgebrauten Schlehenlikör aus dem Elsaß geschickt; die Flasche mit dem langen Hals da …«
    Er zog sich an, nahm den Anzug B aus dem gelben Kunststoffkoffer und legte ihn gut verpackt in seine Reisetasche. Eine halbe Stunde später verließ er das Haus in Begleitung des Wachtmeisters, der, während sie miteinander auf ein Taxi warteten, fragte:
    »Was für ein Fall ist das eigentlich? Im Haus hat ihn noch keiner erwähnt.«
    »Ich kann dir auch nichts weiter darüber sagen«, gestand der Kommissar. »Da ist so ein komischer Knabe auf die absurdeste Art vor meinen Augen ums Leben gekommen, und diesen Vorgang umgibt ein höllisches Durcheinander, das ich mich zu entwirren bemühe. Ich bin da wie ein Wildschwein mitten reingestürzt, und es würde mich gar nicht wundern, wenn ich eine Schlappe einstecken müßte … Da ist ein Wagen! Soll ich dich in der Stadt absetzen?«
     
    Um acht Uhr morgens trat er frisch gebadet und rasiert aus dem Hôtel du Chemin de Fer gegenüber vom Lütticher Guillemins-Bahnhof, ein Päckchen unterm Arm, das nicht mehr den ganzen Anzug B , sondern nur dessen Jacke enthielt. Er fand die Rue Haute-Sauvenière, eine leicht abfallende, verkehrsreiche Straße, und erkundigte sich nach dem Schneider Morcel. Das Haus, das man ihm wies, war düster. Ein Mann in Hemdsärmeln nahm ihm das Jackett ab, drehte und wendete es, wobei er unaufhörlich Fragen stellte.
    »Ein sehr altes Stück«, versicherte er nach einiger Überlegung. »Das Gewebe ist zerrissen; damit kann man nichts mehr anfangen.«
    »Sonst sagt es Ihnen nichts?«
    »Ganz und gar nichts. Der Kragen ist schlecht zugeschnitten, der Stoff eine Imitation englischen Tuchs aus Verviers …«
    Er begann sich zu erwärmen.
    »Sind Sie Franzose? Die Jacke gehört wohl einem Bekannten?«
    Seufzend nahm Maigret das Kleidungsstück wieder an sich, indessen der Schneider weiterschwatzte und endlich zu dem Punkt gelangte, bei dem er hätte anfangen sollen:
    »Sie müssen verstehen, ich bin erst seit sechs Monaten hier. Wenn der Anzug von mir wäre, könnte er noch nicht in dem Zustand sein …«
    »Und was ist aus Monsieur Morcel geworden?«
    »Der ist in Robermont!«
    »Ist das weit?«
    Der Schneider lachte und erklärte, sichtlich vergnügt über das Mißverständnis:
    »Der Friedhof hier heißt Robermont! Monsieur Morcel ist Anfang des Jahres gestorben. Ich hab das Geschäft übernommen.«
    Wieder draußen mit seinem Paket, schlug Maigret den Weg zur Rue Hors-Château, einer der ältesten Straßen der Stadt, ein. Dort, im hintersten Winkel eines Hofes war eine Zinktafel mit der Aufschrift Fotogravüre – Jef Lombard – prompte Ausführung aller Aufträge angebracht.
    Die Fenster im Alt-Lütticher-Stil waren in lauter kleine Scheiben aufgeteilt, und in der Mitte des Hofes mit seinem holprigen Kopfsteinpflaster stand ein Springbrunnen, in den das Wappen einer herrschaftlichen Familie vergangener Zeiten eingemeißelt war.
    Der Kommissar läutete. Er hörte Schritte aus dem ersten Stock herabkommen. Eine alte Frau öffnete ihm einen Spalt breit und deutete zu einer Glastür hin.
    »Sie brauchen sie nur aufzustoßen; die Werkstatt liegt am Ende des Flurs.«
    Die Werkstatt war ein langer, durch eine breite Fensterfläche erhellter Raum, in dem zwei Männer in blauen Kitteln mit Zinkplatten und Behältern voller Säure hantierten. Über den Fußboden verstreut lagen Probeabzüge und mit Druckerschwärze bekleckste Blätter.
    Plakate und die Titelseiten von Illustrierten bedeckten die Wände.
    »Ich möchte zu Monsieur Lombard.«
    »Er ist mit einem Herrn in seinem Büro. Sie können gleich hier durchgehen … Vorsicht, daß Sie sich nicht beschmutzen! Dort links, die erste Tür …«
    Das Gebäude mußte stückweise errichtet worden sein. Da waren Stufen, die hinauf-, und andere, die hinabführten, offenstehende Türen gaben den Blick auf unbenutzte Räume frei.
    Das Ganze wirkte zugleich altertümlich und auf eine seltsame Art bieder, so wie auch die alte Frau, die Maigret eingelassen hatte, und die beiden Arbeiter in der Werkstatt.
    In einem spärlich beleuchteten Korridor drangen Stimmen an Maigrets Ohr. Ihm war, als könne er den Tonfall van Dammes erkennen; er lauschte, doch es war zu undeutlich, als daß er etwas hätte verstehen können. Nachdem er ein paar Schritte weitergegangen war, verstummten die Stimmen. Ein Mann streckte den Kopf durch einen

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