Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
versuchen.
    Aber welcher ist es? Belloir, van Damme, Jef Lombard?
    Ich werde es erst erfahren, wenn er den nächsten Schritt unternimmt. Da man mit einem Unglücksfall rechnen muß, schicke ich Dir auf alle Fälle diese Aufzeichnungen, die es Dir ermöglichen werden, die Untersuchung von Beginn an wiederaufzunehmen.
    Was die persönlichen Hintergründe des Falles angeht, so verweise ich Dich insbesondere an Madame Jeunet und Armand Lecocq d’Arneville, den Bruder des Toten.
    Und nun gehe ich schlafen. Grüß alle von mir.
    Maigret
     
    Über Nacht hatte sich der Nebel gelichtet und auf den Bäumen, auf jedem Grashalm des Parks, den Maigret durchquerte, glitzernde Reifperlen zurückgelassen.
    Frostig strahlte die Sonne von einem blaßblauen Himmel herab und verwandelte den Rauhreif von einer Minute zur nächsten in winzige, glasklare Wassertropfen, die auf den Kies herabfielen.
    Es war acht Uhr morgens, als der Kommissar mit weitausholendem Schritt das menschenleere Carré durchmaß, wo die Tafeln mit den Kinoplakaten noch an den herabgelassenen Rolläden lehnten.
    Maigret blieb bei einem Briefkasten stehen, um seinen Brief an Wachtmeister Lucas einzustecken; dabei blickte er ein wenig beunruhigt um sich.
    Irgendwo in dieser Stadt, in diesen von goldenem Sonnenlicht durchfluteten Straßen, gab es einen Mann, der in diesem Moment an ihn dachte, dem kein anderer Ausweg mehr blieb, als ihn zu töten. Dieser Mann war dem Kommissar gegenüber im Vorteil, denn er kannte sich hier aus, wie er in der vergangenen Nacht durch sein Entkommen in den verworrenen Gassen bewiesen hatte.
    Außerdem kannte er Maigret, beobachtete ihn vielleicht sogar in diesem Augenblick, wohingegen der Kommissar nicht wußte, wer sein Verfolger war.
    War es Jef Lombard? Lauerte die Gefahr in dem alten Haus in der Rue Hors-Château, wo im ersten Stock eine Wöchnerin, bewacht von ihrer biederen Mama, ruhte, wo die Arbeiter gleichmütig von einem Säurebecken zum anderen schlurften, ohne sich von den Grobheiten ungeduldiger Zeitungsausboten beeindrucken zu lassen?
    Oder war es Joseph van Damme, der finster und zornig, dreist und verschlagen dem Kommissar an einem Ort auflauerte, von dem er annehmen konnte, daß dieser dort einmal erscheinen würde?
    Denn van Damme war es, der seit dem Vorfall in Bremen die Situation stets richtig eingeschätzt hatte! Eine kurze Notiz in den deutschen Zeitungen hatte genügt, ihn ins Leichenschauhaus eilen zu lassen – ein Mittagessen in Maigrets Gesellschaft, und er war vor dem Kommissar in Reims gewesen!
    Er war auch als erster in der Rue Hors-Château gewesen, war dem Kriminalbeamten bei den Presseredaktionen zuvorgekommen!
    Und zu guter Letzt war er im Café de la Bourse erschienen!
    Allerdings gab es auch keinen Beweis dafür, daß nicht er derjenige gewesen war, der sich zu einem Geständnis entschlossen hatte; so wie nichts das Gegenteil bewies!
    Es konnte aber auch der kühle, korrekte Belloir mit seinem Dünkel des angesehenen Provinzbürgers sein, der im Nebel auf ihn geschossen hatte. Möglicherweise war er derjenige, dem keine andere Wahl blieb, als Maigret zu beseitigen.
    Oder aber Gaston Janin, der kleine Bildhauer mit dem Bärtchen! Er war zwar nicht im Café de la Bourse gewesen, konnte aber sehr wohl im Hinterhalt gelegen haben!
    Und in welcher Beziehung stand all dies zu einem Gehängten, der am Kreuz einer Kirchturmspitze schaukelte? … Zu einer Vielzahl Gehängter? … Zu Wäldern, in denen die Bäume statt Früchten Gehängte trugen … Zu einem alten, blutbefleckten Anzug, dessen Aufschläge von scharfen Fingernägeln zerkrallt worden waren …?
    Stenotypistinnen hasteten an ihre Arbeitsplätze. Eine Straßenkehrmaschine, beidseitig mit einer Sprengvorrichtung und einem kreisförmigen Besen versehen, der den Abfall in den Rinnstein fegte, rollte gemächlich den Fahrdamm entlang.
    An jeder Kreuzung war der weiße Helm eines Schutzmanns zu erblicken und zwei in steifen, weißen Kunststoffhüllen steckende Arme, die den Verkehr regelten.
    »Wie komme ich zum Hauptkommissariat?« erkundigte sich Maigret.
    Man wies ihm den Weg. Als er das Gebäude betrat, waren die Putzfrauen noch am Werk. Trotzdem wurde er von einem liebenswürdigen Sekretär in Empfang genommen, der, als er hörte, daß Maigret Einsicht in die zehn Jahre alten Protokolle zu nehmen wünschte, und zwar, genauer, in die des Monats Februar, ausrief:
    »Sie sind schon der zweite in vierundzwanzig Stunden! Bestimmt wollen Sie wissen, ob

Weitere Kostenlose Bücher