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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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wirkender Sekretär, eingezwängt in ein Jackett und einen übertrieben hohen, falschen Kragen, sich mit großem Eifer daran machte, die zehn Jahre alten Tagesberichte herauszusuchen.
    Das Zimmer war angenehm warm und mit weichen Teppichen ausgelegt. Ein Sonnenstrahl fiel auf das historische Gemälde, das eine ganze Wandfläche einnahm, und ließ den Krummstab eines Bischofs aufleuchten.
    Eine halbe Stunde verging mit Suchen und dem Austausch von Höflichkeitsfloskeln, dann hatte Maigret die Protokolle des Kaninchendiebstahls, der Trunkenheitsdelikte sowie des Ladendiebstahls wiedergefunden. Außerdem las er zwischen zwei Kurzmeldungen folgende Zeilen:
     
    Wachtmeister Lagasse vom sechsten Polizeirevier, der heute morgen um sechs Uhr seinen Posten am Pont des Arches beziehen wollte, bemerkte im Vorbeigehen an der Kirche Saint-Pholien einen am Türklopfer des Portals hängenden menschlichen Körper.
    Ein sofort herbeigerufener Arzt war nur noch imstande, den Tod des Betreffenden festzustellen. Es handelt sich um einen gewissen Emile Klein, aus Angleur gebürtig, zwanzig Jahre, Anstreicher, wohnhaft in der Rue du Pot-au-Noir.
    Klein scheint sich im Verlauf der Nacht mittels einer Vorhangkordel erhängt zu haben. In seinen Taschen waren lediglich wertlose Gegenstände und etwas Kleingeld enthalten.
    Die Ermittlungen haben ergeben, daß Klein seit drei Monaten in keinem geregelten Arbeitsverhältnis mehr gestanden hat, und die Tat daher wahrscheinlich seiner Mittellosigkeit zuzuschreiben ist.
    Seine Mutter, die Witwe Klein, die in Angleur von einer bescheidenen Rente lebt, ist benachrichtigt worden.
     
    Es folgten Stunden fieberhafter Tätigkeit. Maigret stürzte sich voller Elan auf diese neue Fährte. Und dabei – ohne daß er sich dessen so recht bewußt wurde – war ihm weniger an Informationen über diesen Klein als an einer Begegnung mit van Damme gelegen.
    Denn erst wenn er den Geschäftsmann wieder vor sich hatte, würde er der Wahrheit näher kommen. Hatte nicht alles in Bremen angefangen? Und war der Kommissar nicht seither bei jedem entscheidenden Schritt mit van Damme zusammengetroffen?
    Dieser hatte ihn im Rathaus gesehen, wußte also, daß er den Bericht gelesen hatte und Kleins Spur verfolgte.
    Ein Besuch in Angleur verlief ergebnislos. Der Kommissar hatte ein Taxi genommen und war in ein Fabrikviertel vorgedrungen, wo kleine Arbeiterhäuschen, eines wie das andere, alle von demselben rußigen Grau, im Schatten hoher Fabrikschornsteine ein ärmliches Straßenbild formten.
    Eine Frau war dabei, die Schwelle des Hauses zu scheuern, in dem Madame Klein gewohnt hatte.
    »Sie ist schon mindestens fünf Jahre tot.«
    Keine Spur von van Damme weit und breit.
    »Hat ihr Sohn nicht bei ihr gewohnt?«
    »Nein, der hat ein schlechtes Ende genommen … Hat sich aufgehängt, an einer Kirchentür …«
    Das war alles. Das einzige, was Maigret erfuhr, war, daß Kleins Vater Steiger in einem Kohlenbergwerk gewesen war und seine Frau nach seinem Tod eine kleine Rente bezogen hatte. Sie hatte ihr Haus untervermietet und selbst nur noch eine Dachkammer bewohnt.
    »Zum sechsten Polizeirevier!« wies Maigret den Fahrer an.
    Wachtmeister Lagasse war noch am Leben, konnte sich des Vorfalls jedoch kaum noch erinnern.
    »Es hatte die ganze Nacht geregnet … Er war völlig durchnäßt, sein rotes Haar klebte ihm im Gesicht …«
    »War er groß oder klein?«
    »Eher klein.«
    Daraufhin wandte sich der Kommissar an die Gendarmerie, in deren nach Leder und Pferdeschweiß riechenden Büros er fast eine Stunde verbrachte.
    »Wenn er damals zwanzig war, hat er vor einem Musterungsausschuß erscheinen müssen … Klein sagten Sie, mit einem K?«
    Er wurde auf Seite dreizehn des Registers der als untauglich Ausgemusterten gefunden. Maigret notierte: Größe, ein Meter fünfundfünfzig; Brustumfang, achtzig Zentimeter, sowie den Vermerk »lungengefährdet«.
    Aber van Damme ließ sich immer noch nicht blicken. Es galt, anderswo zu suchen. Als einziges Ergebnis der vormittäglichen Streifzüge Maigrets stand nun mit Sicherheit fest, daß der Anzug B nicht dem Gehängten von Saint-Pholien gehört haben konnte, da dieser kaum mehr als ein Knirps gewesen war.
    Klein hatte Selbstmord verübt. Es hatte kein Kampf stattgefunden, kein Tropfen Blut war geflossen.
    Wo also war der Zusammenhang mit dem Koffer des Landstreichers von Bremen und dem Selbstmord des Lecocq d’Arneville, alias Louis Jeunet?
     
    »Sie können mich hier absetzen …

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