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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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eine gewisse Joséphine Bollant zu der Zeit tatsächlich einen Diebstahl im Hause ihrer Arbeitgeber begangen hat, nicht?«
    »War denn schon jemand hier?«
    »Gestern nachmittag, so gegen fünf. Einer von hier, der es im Ausland ganz schön weit gebracht hat, obwohl er noch so jung ist! … Sein Vater war Arzt, er selbst betreibt ein gutgehendes Geschäft in Deutschland …«
    »Joseph van Damme?«
    »Richtig! … Aber es gelang ihm nicht zu finden, was er suchte, obwohl er die ganze Akte durchgeblättert hat!«
    »Könnte ich sie mal sehen?«
    Es war ein grüner Ordner, in dem die Tagesberichte, jeweils mit einer Nummer versehen, eingeheftet waren. Unter dem Datum des fünfzehnten Februar fanden sich fünf Protokolle: Zwei Fälle von Trunkenheit und nächtlicher Ruhestörung, ein Ladendiebstahl, eine Schlägerei mit Körperverletzung und zum Schluß noch ein Einbruch und Kaninchendiebstahl.
    Maigret gab sich nicht einmal die Mühe, sie zu lesen, sondern betrachtete statt dessen die Nummern, die oben auf jeder Seite standen.
    »Hat Monsieur van Damme die Akte eigenhändig durchgeblättert?« fragte er.
    »Ja. Er hat sich in das Büro nebenan gesetzt …«
    »Vielen Dank.«
    Die fünf Protokolle trugen die Nummern zweihundertsiebenunddreißig, zweihundertachtunddreißig, zweihundertneununddreißig, zweihunderteinundvierzig und zweihundertzweiundvierzig.
    Mit anderen Worten, es fehlte eines; es war – wie die Zeitungen aus den Sammelbänden – herausgerissen worden; nämlich die Nummer zweihundertvierzig.
    Wenige Minuten später hatte Maigret den Platz hinter dem Rathaus erreicht, wo gerade eine Hochzeitsgesellschaft vorfuhr. Und unwillkürlich horchte er auf jedes noch so schwache Geräusch, denn ein leises, ihm ganz und gar nicht behagendes Angstgefühl hatte sich seiner bemächtigt.

8
    Der arme Klein
    Er hatte es mit knapper Not geschafft. Es war neun, und die Angestellten trafen eben beim Rathaus ein, überquerten den Vorplatz, verweilten einen Moment auf der schönen Steintreppe, um einander mit Händedruck zu begrüßen. Ein Portier mit betreßter Mütze und gepflegtem Bart stand oben auf der Treppe und rauchte seine Pfeife.
    Eine Meerschaumpfeife, wie Maigret – er wußte nicht recht, warum – bemerkte; vielleicht weil die Morgensonne sie aufleuchten ließ, oder weil sie so gut eingeraucht aussah, und der Kommissar sekundenlang so etwas wie Neid diesem Mann gegenüber empfand, der, mit kurzen, genüßlichen Zügen schmauchend, wie eine Art Symbol des Friedens und der Lebensfreude dastand.
    Denn an diesem Morgen schien die Luft zu flimmern, und flimmerte immer mehr, je höher die Sonne stieg. Dazu ein herrliches Durcheinander von Ausrufen im wallonischen Dialekt, dem schrillen Bimmeln der gelbroten Straßenbahnen und dem Plätschern des vierfachen Wasserstrahls aus dem gigantischen Springbrunnen mit dem »Perron« darüber, das vergeblich die Geräusche des nahen Marktes zu übertönen suchte.
    Auf der zweiläufigen Freitreppe jedoch erblickte Maigret den eben in der Vorhalle verschwindenden Joseph van Damme.
    Der Kommissar eilte ihm nach. Im Innern des Gebäudes verlief die Treppe weiterhin in zwei Aufgängen, die in jedem Stockwerk zusammentrafen. So kam es, daß die beiden Männer einander plötzlich, atemlos vom schnellen Laufen, auf einem Absatz gegenüberstanden und sich anstrengen mußten, um angesichts eines Amtsdieners mit Silberkette unauffällig zu erscheinen.
    Das war knapp gewesen! Eine Frage der Geistesgegenwart, denn es ging um Viertelsekunden.
    Maigret hatte – als er eben die Treppe hinauflief – gedacht, daß van Damme nur war, um, wie in den Zeitungsarchiven und beim Hauptkommissariat, etwas verschwinden zu lassen; war doch schon eins der Protokolle vom fünfzehnten Februar zerrissen worden.
    Aber stellte die Polizei nicht auch hier, wie in den meisten Städten, dem Bürgermeisteramt allmorgendlich einen Durchschlag der Tagesberichte zu?
    »Ich möchte den Kanzleivorsteher sprechen!« erklärte Maigret in zwei Meter Entfernung von van Damme. »Es eilt!«
    Ihre Blicke kreuzten sich. Sie waren nicht sicher, ob sie einander grüßen sollten oder nicht und unterließen es dann. Und als der Amtsdiener sich dem Bremer Geschäftsmann zuwandte, ihn nach seinem Begehren fragte, murmelte dieser nur:
    »Nichts … Ich komme später noch mal.«
    Er ging. Das Geräusch seiner Schritte verlor sich in der Vorhalle. Kurz darauf wurde Maigret in ein prunkvoll ausgestattetes Büro geführt, wo ein steif

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