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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Gedanken nicht zu erraten sind. Was wußte er? Warum war er gekommen? Worauf wartete er? Hoffte er auf ein Wort, eine Geste, die seinen Verdacht bestätigen würden? Hatte er längst alles durchschaut, oder war es nur ein Bluff?
    Was ließ sich noch sagen? Sollte man nochmals vom Zufall, von dem unerwarteten Zusammentreffen sprechen?
    Schweigen. Ein jeder wartete, ohne zu wissen, worauf. Ein jeder erwartete irgend etwas. Aber nichts geschah!
    Bei jeder Minute, die verstrich, erbebte der Zeiger der Uhr, vernahm man ein leichtes Schnarren des Uhrwerks. Anfangs war es nicht zu hören gewesen, nun war es geradezu unerträglich laut. Und die Bewegung des Zeigers selbst zerfiel in drei verschiedene Phasen: Erst ein Klicken, dann setzte sich der Zeiger in Bewegung, dann eine Wiederholung desselben Geräusches, wie um ihn an seinem neuen Platz einzurasten. Und jedesmal änderte sich das Gesicht der Uhr; der stumpfe Winkel wurde nach und nach zu einem spitzen, in dem Maße, wie die Zeiger sich aufeinander zu bewegten.
    Immer wieder streifte der erstaunte Blick des Kellners die trübsinnige Tischgesellschaft. Maurice Belloir schluckte von Zeit zu Zeit; Maigret brauchte gar nicht hinzusehen, um es zu bemerken. Er fühlte den Pulsschlag des Mannes, seinen Atem, merkte, wie er sich verkrampfte, hin und wieder behutsam mit den Füßen scharrte, so als befände er sich in einer Kapelle.
    Das Lokal begann sich zu leeren. Die roten Decken und Spielkarten verschwanden von den Tischen, bleich schimmerten die marmornen Tischplatten. Der Kellner ging hinaus, um die Läden herunterzulassen, und die Wirtin ordnete die Spielmarken ihrem Wert nach in kleine Häufchen.
    »Bleiben Sie noch?« fragte Belloir schließlich mit einer Stimme, die kaum wiederzuerkennen war.
    »Und Sie?«
    »Ich … Ich weiß nicht.«
    Daraufhin klopfte van Damme mit einem Geldstück auf den Tisch und fragte den Kellner:
    »Was macht das?«
    »Die ganze Runde? … Neun Francs fünfundsiebzig.«
    Sie standen gleichzeitig auf, vermieden es, sich anzusehen, während der Kellner ihnen nacheinander in den Mantel half.
    »Gute Nacht, Messieurs!«
    Draußen war es neblig, das Licht der Straßenlaternen kaum zu sehen. Alle Fensterläden waren verriegelt. Irgendwo in der Ferne hallten Schritte über das Trottoir.
    Sie zögerten, unentschlossen, welche Richtung sie einschlagen sollten. Keiner der drei wollte die Führung übernehmen. Hinter ihnen wurde die Tür des Lokals abgeschlossen und der Sicherheitsriegel vorgeschoben.
    Etwas weiter links bog eine schmale Gasse mit alten Häusern ab, deren Fronten keine gerade Linie bildeten.
    »Dann also …« sagte Maigret, »wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, Messieurs!«
    Zuerst drückte er Belloir die Hand, dessen Finger sich kalt und nervös anfühlten, dann reichte ihm van Damme widerstrebend seine feuchte, schlaffe Rechte.
    Der Kommissar schlug den Kragen seines Mantels hoch, räusperte sich und begann – eine einsame Gestalt – die verlassene Straße hinabzuschreiten. Und dabei war seine ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet, das leiseste Geräusch, die unmerklichste Bewegung in der Luft wahrzunehmen, die ihm als Warnung dienen konnten.
    Seine Hand umspannte den Griff des Revolvers in der Manteltasche. Er vermeinte, zur Linken, in dem Gewirr enger Gäßchen, das einer Aussätzigeninsel gleich inmitten des Zentrums von Lüttich liegt, das Geräusch eiliger, verstohlener Schritte zu hören.
    Ihm war, als vernehme er das Gemurmel unterdrückter Stimmen, ohne sagen zu können, ob es von weither oder aus nächster Nähe kam, denn der Nebel täuschte die Sinne.
    Und jäh warf er sich zur Seite, preßte seinen Körper gegen eine Tür, im selben Moment, als es neben ihm trocken knallte und jemand so schnell er nur konnte in der Dunkelheit davonrannte.
    Maigret ging ein paar Schritte weiter, ließ den Blick die Gasse hinabschweifen, aus der der Schuß gekommen war. Er sah nichts außer den dunkleren Stellen, wo Einfahrten abzweigen mochten, und ganz am Ende, in zweihundert Meter Entfernung, die Milchglaskugel vor einer Pommes-frites-Bude.
    Sekunden später kam er an dem Lokal vorbei, eben als ein Straßenmädchen mit einer Tüte goldgelber Pommes frites aus der Tür trat. Sie warf ihm ihre Aufforderung ohne rechte Überzeugung zu und wandte sich einer besser beleuchteten Straße entgegen.
     
    Maigret sah friedlich aus, wie er die Feder beim Schreiben mit dem breiten Zeigefinger auf das Papier drückte und von Zeit zu Zeit die Glut in

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