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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Rumpelkammer oder an das Bühnenbild eines billigen Schwanks denken ließ.
    Da stand eine unordentliche Ansammlung nicht fertiggezimmerter Stühle, standen Töpfe mit Tischlerleim, Kisten, aus denen Holzwolle oder Hobelspäne quollen, lagen zerbrochene Sägen und eine ganze Tür mit neu eingesetzter Füllung herum.
    Andererseits gab es aber auch eine Ecke mit einer Art Couch oder eher Sprungfedermatratze, die teilweise von einem Chintzrest bedeckt war und darüber eine wunderlich geformte, bunt verglaste Laterne, wie man sie zuweilen noch beim Antiquitätenhändler findet.
    Über die Couch verstreut lagen die Einzelteile eines unvollständigen Skeletts, das einem Medizinstudenten gehört haben mochte. Brustkorb und Becken wurden noch von Klammern zusammengehalten und lehnten wie eine Stoffpuppe vornüber.
    Und dann erst die Wände! Diese weißen, mit Zeichnungen und Freskomalereien bedeckten Wände!
    Ein geradezu absurdes Gewirr von fratzenhaft verzogenen Gesichtern und Inschriften im Stil von Es lebe Satan, der Großvater der Welt!
    Auf dem Fußboden lag eine Bibel mit zerschlissenem Rücken. Etwas daneben, unter einer dicken Staubschicht, zerknüllte Skizzenblätter und ein Stapel vergilbten Papiers.
    Über der Tür eine weitere Inschrift: Willkommen, ihr Verdammten!
    Und inmitten dieses Chaos die unvollendeten Stühle, die nach Schreinerwerkstatt, Leim und rohem Kiefernholz rochen! Ein Ofen war umgekippt worden, lag auf der Seite, rotbraun vor Rost.
    Und schließlich Joseph van Damme in seinem gutsitzenden Mantel, mit einem Gesicht, das die tägliche Pflege verriet, mit seinen tadellos sauberen Schuhen! Van Damme, der auch noch in dieser Umgebung ganz der Mann blieb, der in den besten Bremer Lokalen verkehrt, ein modernes Büro in einem großen Geschäftshaus besitzt und sich auf erlesene Speisen und alten Armagnac versteht …
    Van Damme, der in seinem Wagen herumfuhr, die hochgestellten Persönlichkeiten der Stadt grüßte und dabei erklärte, der Herr im Pelz sei Millionen schwer, ein anderer der Besitzer von dreißig Frachtern auf hoher See … Und der ein wenig später beim Klang beschwingter Musik, dem Klirren von Gläsern und Untertassen die Hände all dieser Mächtigen schüttelte, weil er sich schon fast zu ihnen gehörig fühlte …
    Dieser van Damme glich nun auf einmal einem gehetzten Wild, wie er so reglos an der Wand lehnte, die Schulter weiß von Kalk, und – eine Hand in der Tasche – Maigret nicht aus den Augen ließ.
    »Wieviel? …«
    Hatte er tatsächlich gesprochen? War der Kommissar nicht unter dem Einfluß dieser unwirklichen Umgebung einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen?
    Er schrak zusammen, stieß aus Versehen gegen einen Stuhl, der noch keine Sitzfläche hatte und polternd umfiel. Van Damme war dunkelrot angelaufen, hatte dabei jedoch sein gesundes Aussehen eingebüßt. In seinen aufs Äußerste gespannten Zügen spiegelte sich so etwas wie Panik oder Verzweiflung, aber auch Wut, zusammen mit der Entschlossenheit zu überleben, um jeden Preis den Sieg davonzutragen. Und alles, was er nur an Widerstandskraft aufzubringen vermochte, drückte sich im Blick seiner Augen aus.
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    Mit diesen Worten ging Maigret hinüber zu dem Haufen zerknüllter Skizzen, die in einer Ecke unter dem Fenster zusammengefegt worden waren, und entfaltete in der Zeit, während der er auf die Antwort wartete, die Aktstudie eines Mädchens. Ein Mädchen mit groben Gesichtszügen, unordentlichem Haar, einem kräftigen, gut gebauten Körper, üppigen Brüsten und breiten Hüften.
    »Noch ist es nicht zu spät«, kam es indessen von van Damme. »Fünfzigtausend? … Hundert? …«
    Der Kommissar sah ihn mit einem sonderbaren Ausdruck an, woraufhin der andere ihm – unfähig seiner fieberhaften Erregung Herr zu werden – zuwarf:
    »Zweihunderttausend!«
    Zwischen den asymmetrischen Mauern der schäbigen Behausung pulsierte die Angst, säuerlich faulende, krankhafte Angst.
    Vielleicht war es auch mehr als Angst: eine unterschwellige Versuchung, der Taumel mörderischer Gedanken …
    Maigret indessen hörte nicht auf, die alten Blätter vor sich auszubreiten, auf denen er dasselbe üppige Mädchen, das beim Modellstehen einen stumpfsinnigen Gesichtsausdruck gehabt haben mußte, in allerlei Posen wiederfand.
    Auf einer Zeichnung hatte der Maler sich bemüht, sie in den über die Couch gebreiteten Rest Chintz gehüllt darzustellen, ein anderes Mal mit schwarzen Strümpfen.
    Hinter ihr

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