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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Hauswirts Frage an Maigret gerichtet.
    »Nein.«
    »Komische Heinis! … Meine Frau wollte ja nicht, daß ich das Zimmer vermiete; später hat sie mir geraten, sie rauszuwerfen, besonders, wo sie nicht regelmäßig zahlten. Aber ich fand das ganz witzig, wie einer den anderen mit einem größeren Hut, einer längeren Tonpfeife zu übertrumpfen suchte, wie sie die Nächte hindurch sangen und tranken! Hin und wieder waren auch hübsche Mädchen dabei … Ah, Monsieur Lombard, wissen Sie übrigens, was aus der da auf dem Fußboden geworden ist?
    Sie ist jetzt mit einem Inspektor vom Grand Bazar verheiratet und wohnt keine zweihundert Meter weit von hier. Einer ihrer Söhne geht mit meinem Jungen zur Schule.«
    Lombard stand auf, machte ein paar Schritte zu dem großen Fenster hin und wieder zurück. So spürbar war seine Unruhe, daß der Mann sich entschloß, den Rückzug anzutreten.
    »Ich störe wohl doch … Dann geh ich jetzt besser. Und wenn noch irgendwelche Sachen dabei sind, an denen Sie hängen … Ich hab natürlich nie die Absicht gehabt, sie zu behalten wegen den zwanzig Francs; hab mir bloß eine Landschaft genommen, fürs Eßzimmer …«
    Vielleicht wollte er auf dem Flur noch weiterreden, doch eine Stimme rief von unten:
    »Da ist jemand, der Sie sprechen will, Chef!«
    »Also dann, Messieurs … Es hat mich gefreut, Sie …«
    Der Rest verhallte hinter der zufallenden Tür. Während der Mann redete, hatte Maigret sich eine Pfeife angesteckt. Es war dem Geschwätz des Schreiners trotz allem gelungen, die Atmosphäre bis zu einem gewissen Grad aufzulockern, und als der Kommissar nun das Wort ergriff und auf eine Inschrift wies, die die obskurste all der Wandmalereien umrahmte, antwortete Maurice Belloir mit einer Stimme, die schon fast natürlich klang.
    Die Inschrift lautete: Die apokalyptischen Kumpane.
    »War das der Name Ihrer Gruppe?«
    »Ja … Ich werde Ihnen alles erklären. Es ist eh zu spät, nicht? Unsere Frauen und Kinder haben eben Pech gehabt …«
    Doch Jef Lombard fiel ihm ins Wort:
    »Ich will reden! Laß mich …«
    Er begann, im Raum auf- und abzugehen, ließ die Augen immer mal auf dem einen oder anderen Gegenstand verweilen, wie um seiner Erzählung dadurch Gestalt zu geben.
    »Es ist etwas über zehn Jahre her … Ich ging damals zur Kunstakademie, um Maler zu werden, trug einen großen Hut und eine Künstlerschleife. Wir waren drei; Gaston Janin, der Bildhauerei studierte, der arme Klein und ich. Wir bildeten uns ganz schön was ein, wenn wir so durchs Carré flanierten. Schließlich waren wir Künstler, oder etwa nicht? Ein jeder sah sich mindestens als künftigen Rembrandt …
    Es hat ganz blödsinnig angefangen … Wir lasen eine Menge, vor allem die Schriftsteller der Romantik. Unsere Begeisterung kannte keine Grenzen. Wochenlang schwärmten wir ausschließlich für einen Autor, dann ließen wir ihn für einen anderen fallen …
    Der arme Klein, dessen Mutter in Angleur wohnte, hatte dieses Atelier hier gemietet. Es wurde zu einer Gewohnheit für uns, hier zusammenzutreffen. Die Atmosphäre – besonders an Winterabenden – hatte so etwas Mittelalterliches, das uns beeindruckte. Wir sangen alte Lieder, trugen Villons Balladen vor …
    Ich weiß nicht mehr, wer von uns die Apokalypse entdeckte und darauf bestand, ganze Kapitel daraus vorzulesen …
    Eines Abends machten wir die Bekanntschaft einiger Studenten: Belloir, Jean Lecocq d’Arneville, van Damme und ein gewisser Mortier, ein Jude, dessen Vater hier in der Nähe mit Schweinedärmen und Eingeweiden handelt.
    Wir hatten getrunken, brachten sie mit her … Der Älteste von uns war keine zweiundzwanzig …
    Das warst du, van Damme, nicht?«
    Es tat ihm gut, sprechen zu können; seine Bewegungen begannen, weniger ruckartig zu werden, die Stimme den rauhen Klang zu verlieren, nur das Gesicht war noch von dem Weinkrampf gezeichnet, die Haut rötlich gefleckt, die Lippen geschwollen.
    »Ich glaube, daß der Einfall von mir kam, einen Klub zu gründen, einen Bund! Ich hatte von den geheimen Verbindungen gelesen, die im vergangenen Jahrhundert an den deutschen Universitäten bestanden. Eine Vereinigung der schönen Künste mit der Wissenschaft, das war es, was mir vorschwebte!«
    Es gelang ihm nicht, ein Hohnlachen zu unterdrücken, als sein Blick über die Wände schweifte.
    »Denn solche Worte führten wir ständig im Mund, und sie erfüllten uns mit maßlosem Stolz … Da waren Klein, Janin und ich einerseits, als Vertreter der

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