Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
Aufmerksamkeit erregen.
Überdies steht X im Dunkeln. Emile Gallet bemerkt ihn nicht. Er läßt sich wieder hinuntergleiten, kehrt in sein Zimmer zurück und …
Von jetzt an wird es schwieriger. Es sei denn, wir nehmen an, daß X geschossen hat …«
»Da kann ich Ihnen nicht mehr folgen, Kommissar!«
Maigret sprang vom Faß herunter.
»Ich muß Sie schon wieder um Feuer bitten. Danke! Wieder die linke Hand! Ob X geschossen hat oder nicht, interessiert uns vorläufig nicht. Wir werden jetzt versuchen, seinen weiteren Weg zu verfolgen. Gehen wir! Er nimmt den Schlüssel aus dem Versteck. Er öffnet das Seitentor. Doch vorher ist er ins Haus zurückgekehrt, um Gummihandschuhe zu holen. Sie müssen Ihre Köchin fragen, ob sie manchmal welche trägt – vielleicht beim Gemüseputzen? – und ob sie sie noch nicht vermißt hat. Ist sie eitel?«
»Ich sehe keinen Zusammenhang.«
In der Ferne begann es zu donnern, doch noch fiel kein Tropfen Regen.
»Lassen wir das! Das Tor ist offen. X nähert sich Gallets Zimmer, schaut durchs Fenster und erblickt die Leiche. Denn Emile Gallet ist tot. Erstochen. Daß er unmittelbar nach dem Schuß erstochen wurde, ersehen wir aus dem medizinischen Gutachten, und die Blutspuren haben es bewiesen. Wie wir eben feststellten, sieht es nun aber ganz so aus, als habe Gallet sich selbst erstochen …
Im Kamin liegt verkohltes Papier. Die Asche ist noch warm, und wir finden verbrannte Streichhölzer, die Gallet gehört haben.
Trotzdem durchsucht X den Koffer des Toten und wahrscheinlich auch dessen Brieftasche, die er danach sorgfältig wieder in Gallets Jackett verstaut. Dann entfernt er sich, vergißt aber, das Tor abzuschließen und den Schlüssel in das Versteck zurückzulegen …«
»Der Schlüssel lag doch aber im Gras!«
Maigret bemerkte Saint-Hilaires verstörten Ausdruck, fuhr jedoch ungerührt fort:
»Weiter! Denn das ist noch nicht das Ende. Eine so komplizierte und gleichzeitig so simple Geschichte ist mir noch nie untergekommen! Aber wie auch immer, eines ist sicher: Der Mann, der sich als Monsieur Clément ausgab, war ein Gauner. Und wie wir eben sahen, hat er alle Spuren seiner Tätigkeit eigenhändig vernichtet, als hätte er gewußt, daß ihm ein wichtiges, mehr, ein entscheidendes Ereignis bevorstand …
Kommen Sie! … Hier ist der Hinterhof des Hotels. Dort, links, liegt das Zimmer, das Emile Gallet an dem bewußten Nachmittag haben wollte und nicht bekam, weil es zufällig nicht frei war.
An jenem Nachmittag befand er sich in der gleichen verzweifelten Lage wie am Abend. Er mußte bis Montag früh um jeden Preis zwanzigtausend Franc beisammen haben, andernfalls lieferten ihn gewisse Leute, die ihn erpreßten, der Polizei aus.
Nehmen wir an, er hätte dieses Zimmer bekommen. Dann wäre er nicht mehr in der Lage gewesen, unbemerkt den Brennesselweg zu überqueren und auf die Mauer zu klettern.
Folglich bestand für ihn kein zwingender Grund, diese Mauer zu erklettern. Mit anderen Worten: Es ging ihm um etwas anderes, um etwas, das mit dem Hof zusammenhing.
Was sehen wir in diesem Hof? Einen Sodbrunnen. Sie werden mir jetzt sagen, er wollte sich da hineinstürzen. Aber wenn das stimmte, hätte er ja bloß das Zimmer, das er bewohnte, verlassen und durch den Flur in den Hof hinausgehen müssen, um sich dort zu ertränken.
Nein! Was er brauchte, war die Kombination von Brunnen und Zimmer! … Schon wieder dieser Tardivon! Ja? Was gibt’s?«
»Nevers ist am Apparat.«
»Der Steuerinspektor?«
»Persönlich.«
»Kommen Sie mit, Monsieur de Saint-Hilaire. Da Sie mir schon helfen wollen, ist es nur recht und billig, wenn ich Sie an allen Phasen der Untersuchung teilhaben lasse. Nehmen Sie den zweiten Hörer … Hallo? … Kommissar Maigret … Keine Bange, ich möchte Ihnen nur eine Frage stellen, die mir soeben eingefallen ist. War Ihr Freund Gallet Linkshänder? … Wie bitte? … Hände und Füße? … Links außen beim Fußball? … Sind Sie ganz sicher? … Nein, das ist alles, danke. Oder doch, einen Augenblick, noch etwas: Hat er Latein studiert? … Was lachen Sie? … Wie … viel zu faul? … Auch das noch! … Ja, höchst merkwürdig. Haben Sie übrigens das Foto des Toten gesehen? … Nein? … Ja, gewiß, seit Saigon hat er sich verändert. Das einzige Bild, das ich von ihm besitze, stammt aus der Zeit, da er schon Diät halten mußte. Aber vielleicht kann ich Ihnen demnächst jemanden vorstellen, der ihm ähnlich sieht. Ich danke Ihnen.
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