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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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einen unglücklichen Zufall zu dieser Katastrophe kommen konnte. Glauben Sie an Gespenster?«
    Er war entzückt von seiner Zwischenbemerkung, die er mit einem geschickten Lächeln vorbrachte, so als ob er in der Kammer einem politischen Gegner eine Fangfrage stellen würde.
    »Ich glaube nicht daran.«
    »Ich auch nicht. Trotzdem gibt es jedes Jahr in Frankreich ein Haus, in dem es spukt und das die Bevölkerung mehrere Tage, manchmal mehrere Wochen in Aufruhr versetzt. Ich habe in meinem Kreis bei einem Haus eine richtige Mobilmachung von Polizisten und Kriminalbeamten erlebt, die zusammen mit Spezialisten keine Erklärung finden konnten für die Tatsache, dass bestimmte Möbelstücke in jeder Nacht zu beben anfingen. Eines schönen Tages löst sich das meistens in Wohlgefallen auf.«
    »Rose ist tot, oder nicht?«
    »Ich weiß. Ich will nicht soweit gehen in meiner Behauptung, dass sie sich selber vergiftet hat.«
    »Doktor Jolly, der sie immer behandelte, hat bestätigt, dass sie körperlich und geistig gesund war. Nichts in ihren Verhältnissen und ihrem Leben lässt annehmen, dass sie Selbstmord begehen wollte. Vergessen Sie nicht, dass das Gift bereits in dem Glas war, als Valentine ihre Medizin einnehmen wollte, die ihr dann zu bitter schmeckte und die sie deshalb nicht ausgetrunken hat.«
    »Gewiss. Ich will ja auch nichts beeinflussen. Ich sage nur: Keiner der Anwesenden konnte ein Interesse daran haben, diese alte, harmlose Frau umzubringen.«
    »Wissen Sie, dass in jener Nacht ein Mann im Haus war?«
    Er errötete etwas, machte eine Bewegung, als ob er eine lästige Fliege verscheuchen wollte.
    »Ich habe es gehört. Ich konnte es kaum glauben. Aber schließlich ist Arlette 38 Jahre alt. Sie ist außerordentlich hübsch und öfter Versuchungen ausgesetzt als andere. Vielleicht ist es nicht so ernst, wie wir meinen. Jedenfalls hoffe ich, dass Julien nichts davon erfährt.«
    »Das ist sicher.«
    »Sehen Sie, Monsieur Maigret, jeder andere hätte einfach die anwesenden Personen verdächtigt. Aber gerade Sie gehen doch, soviel ich weiß, den Dingen auf den Grund; Sie sehen hinter die Fassade. Ich bin überzeugt, dass Sie, wie bei der Sache mit den Gespenstern, eine ganz simple Lösung finden.«
    »Dass Rose nicht tot ist, zum Beispiel?«
    Charles Besson lachte etwas irritiert, weil er nicht wusste, ob das scherzhaft gemeint war.
    »Und vor allem, wie kommt man an Arsen heran? Mit welchem Grund?«
    »Vergessen Sie nicht, dass Ihr Vater Apotheker war, dass Theo, wie man mir erzählte, Chemie studierte, dass Sie selber eine Zeitlang in einem Laboratorium gearbeitet haben, dass also jeder in der Familie über gewisse pharmazeutische Kenntnisse verfügt.«
    »Ich habe nicht daran gedacht. Aber meiner Meinung nach ändert das nichts an meinen Überlegungen.«
    »Natürlich nicht.«
    »Es gibt auch keinen Hinweis darauf, ob nicht vielleicht jemand von außen eingedrungen ist?«
    »Ein Landstreicher beispielsweise.«
    »Warum nicht?«
    »Jemand, der wartete, bis das Haus voll war, um durch das Fenster ins erste Stockwerk einzusteigen und das Gift in ein Glas zu schütten? Das ist nämlich kein unwichtiger Aspekt. Das Gift wurde nicht in die Flasche, an der keine Spuren gefunden wurden, sondern direkt in das Glas geschüttet.« »Sie sehen selber, dass das nichts miteinander zu tun hat.«
    »Die Rose ist tot.«
    »Also, wie denken Sie darüber? Sagen Sie mir Ihre Meinung von Mann zu Mann. Ich verspreche Ihnen selbstverständlich, nichts zu unternehmen, nichts weiterzusagen, was Ihre Untersuchungen stören könnte. Also wer?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und warum?«
    »Ich weiß es noch nicht.«
    »Und wie?«
    »Das werden wir erfahren, wenn ich die beiden ersten Fragen beantworten kann.«
    »Haben Sie einen Verdacht?«
    Ihm war jetzt unbehaglich in seinem Sessel, wie er an seinem kalten Zigarrenstummel herumkaute und einen bitteren Geschmack im Mund verspürte. Vielleicht klammerte er sich an Illusionen, wie Maigret manchmal an seine Vorstellung, die er sich vom Leben gemacht hatte und die man ihm nehmen wollte. Es war beinahe rührend, ihn zu sehen, wie er ängstlich und unsicher das geringste Mienenspiel des Kommissars beobachtete.
    »Es wurde jemand getötet«, sagte dieser.
    »Das ist nicht zu leugnen.«
    »Keiner tötet ohne ein Motiv, vor allem nicht mit Gift, das nicht zu einem Wutanfall oder Leidenschaftlichkeit passt. In meiner Laufbahn ist mir nicht ein einziger Giftmord begegnet, der nicht mit einer ganz

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