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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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legte er gelangweilt die Hand an den Mund, als ob er gähnte.
    »Bleibst du noch lange in Etretat?«
    »Ich weiß nicht.«
    Charles bemühte sich trotzdem, seinen Bruder ins rechte Licht zu rücken, und erklärte dem Kommissar:
    »Er ist ein eigenartiger Junge. Er weiß nie im Voraus, was er am nächsten Tag macht. Er kommt aus dem >Fouquet< oder dem >Maxim< nach Hause und packt seine Koffer, um das nächste Flugzeug nach Cannes oder Chamonix, London oder Brüssel zu nehmen. So ist es doch, Theo?«
    Da ging Maigret direkt zum Angriff über:
    »Erlauben Sie, dass ich Ihnen eine Frage stelle, Monsieur Besson? Wann haben Sie sich das letzte Mal mit Rose getroffen?«
    Der arme Charles schaute beide völlig verblüfft an, sperrte den Mund auf, wie um zu widersprechen, und wartete auf einen energischen Protest seines Bruders.
    Theo leugnete aber nichts ab. Er schien verwirrt, sah einen Augenblick in sein Glas und sagte dann zum Kommissar:
    »Wollen Sie das genaue Datum wissen?«
    »So genau wie möglich.«
    »Charles kann Ihnen sagen, dass ich das genaue Datum nie weiß und mich auch oft in den Wochentagen täusche.«
    »Ist es länger als acht Tage her?«
    »Ungefähr acht Tage.«
    »War es an einem Sonntag?«
    »Nein. Wenn es sich um eine Aussage unter Eid handelt, überlege ich lieber zweimal, aber über den Daumen gepeilt würde ich sagen, es war am letzten Mittwoch oder Donnerstag.«
    »Haben Sie sich oft mit ihr getroffen?«
    »Ich weiß nicht genau. Zwei- oder dreimal.«
    »Haben Sie sich bei Ihrer Stiefmutter kennengelemt?«
    »Man hat Ihnen sicher schon erzählt, dass ich meine Stiefmutter nicht besuchte. Als ich dieses Mädchen traf, wusste ich nicht, wo sie beschäftigt war.«
    »Wo war das?« »Auf dem Jahrmarkt in Vaucottes.«
    »Seit wann läufst du kleinen Dienstmädchen nach?« scherzte Charles, um zu beweisen, dass dies sonst nicht die Art seines Bruders war.
    »Ich schaute beim Sackhüpfen zu. Sie stand neben mir. Ich weiß nicht mehr, ob sie oder ich zuerst etwas sagte. Jedenfalls meinte sie, diese Dorffeste seien sich doch alle gleich, sie seien langweilig, und sie würde lieber gehen. Ich bot ihr, weil ich selber gehen wollte, höflich einen Platz in meinem Auto an.«
    »Ist das alles?«
    »Noch mal das gleiche, Charlie!«
    Dieser goss, ohne zu fragen, alle drei Gläser nach, und Maigret ließ es ohne Widerspruch zu.
    »Sie erzählte mir, sie würde viel lesen, erzählte mir, was sie gelesen hätte. Es waren Bücher, die sie nicht verstehen konnte und die sie verwirrten. Soll das ein Verhör sein, Herr Kommissar? Wissen Sie, ich habe nichts dagegen, aber hier... ?«
    »Hör zu, Theo!« protestierte Charles. »Ich erinnere dich daran, dass ich Monsieur Maigret gebeten habe, herzukommen.«
    »Sie sind der erste, den ich treffe«, fügte der Kommissar hinzu, »der dieses Mädchen ein wenig zu kennen scheint, jedenfalls der erste, der mir von ihr erzählt.«
    »Was möchten Sie noch wissen?«
    »Was Sie von ihr halten.«
    »Sie war ein kleines Bauernmädchen, das zu viel gelesen hatte und seltsame Fragen stellte.«
    »Worüber?«
    »Über alles, über die Güte, über den Egoismus, über die menschlichen Beziehungen untereinander, über die Intelligenz, was weiß ich?« »Über die Liebe?«
    »Sie erklärte mir, sie würde nicht daran glauben und sich nie so weit erniedrigen, sich einem Mann hinzugeben.«
    »Auch nicht als Ehefrau?«
    »Sie hielt die Ehe für etwas sehr Schmutziges, wie sie sich ausdrückte.«
    »So dass also zwischen Ihnen beiden nichts gewesen ist?«
    »Absolut nichts.«
    »Überhaupt keine Intimität?«
    »Sie nahm meine Hand, wenn wir spazieren gingen, oder lehnte sich beim Autofahren ein wenig an meine Schulter.«
    »Hat sie mit Ihnen nie über den Hass gesprochen?«
    »Nein. Ihre fixen Ideen waren der Egoismus und der Stolz, wobei sie das letzte Wort mit einem stark normannischen Akzent aussprach. Charlie!«
    »Kurz«, warf sein Bruder ein, »du hast dich amüsiert, deine Charakterstudien zu betreiben!«
    Aber Theo hielt es nicht der Mühe wert, darauf zu antworten.
    »Ist das alles, Herr Kommissar?«
    »Kannten Sie Henri schon vor Roses Tod?«
    Diesmal wurde Charles wirklich nervös. Woher wusste Maigret das alles, und warum hatte er ihm nichts davon erzählt? Allmählich kamen ihm Theos Benehmen und auch sein verlängerter Aufenthalt in Etretat etwas rätselhaft vor.
    »Ich kannte ihn nur dem Namen nach, denn sie hatte mir von ihrer ganzen Familie erzählt, die sie nicht leiden

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