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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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voller Ideen. Wenn er sie nicht alle verwirklichen konnte, wenn sie, einmal verwirklicht, meistens scheiterten, dann nur, weil die äußeren Umstände gegen ihn waren.
    Aber hatte er es nicht geschafft, als Abgeordneter aufgestellt zu werden? Jetzt würde man seine Fähigkeiten erkennen. Das ganze Land würde von ihm reden, ihn zum Minister, zum Staatsmann machen.
    »Haben Sie sich, als Sie jung waren, nie in Valentine verliebt? Sie war kaum zehn Jahre älter als Sie.«
    Er war beleidigt, entrüstet:
    »Nie im Leben!«
    »Und waren Sie später auch nicht in Arlette verliebt?«
    »Ich habe sie immer wie eine Schwester behandelt.«
    Er hatte von der Welt und den Menschen immer noch eine Bilderbuchvorstellung. Er holte eine Zigarre aus der Tasche und war erstaunt, dass Maigret keine rauchen wollte, zündete sie bedächtig an und stieß langsam den Rauch aus, dem er nachschaute, wie er in die silbrige Luft aufstieg.
    »Sollen wir uns auf die Terrasse setzen? Die Sessel sind sehr bequem mit Blick auf den Strand. Wir können aufs Meer schauen.«
    Er lebte das ganze Jahr am Meer, aber es machte ihm immer noch Spaß, in einem gemütlichen Sessel zu sitzen und es zu betrachten, gut gekleidet, glattrasiert, mit allen Attributen eines bedeutenden und erfolgreichen Mannes.
    »Und Ihr Bruder Theo?«
    »Wollen Sie von mir wissen, ob er in Valentine verliebt war?«
    »Ja.«
    »Bestimmt nicht. Ich habe diesbezüglich nie etwas gemerkt.«
    »Und in Arlette?«
    »Erst recht nicht. Ich war noch ein Junge, als er schon seine ersten Liebesabenteuer hatte, vor allem mit kleinen Mädchen<, wie ich sie nenne.«
    »War Arlette auch nicht in ihn verliebt?«
    »Vielleicht hat sie für ihn geschwärmt, wie meine Frau das nennt, wenn sie über die Liebeleien junger Mädchen redet. Sie wissen, wie das ist. Das hat weiter nichts zu bedeuten. Als Beweis dafür hat sie ja auch nicht lange mit der Heirat gewartet.«
    »Waren Sie nicht überrascht?«
    »Wovon?«
    »Von ihrer Heirat mit Julien Sudre.«
    »Nein. Vielleicht ein bisschen, weil er nicht reich war und wir meinten, Arlette könnte nicht auf Luxus verzichten. Es gab eine Zeit, in der sie ziemlich arrogant war, aber das war schnell vorbei. Ich glaube, Julien war ihre große Liebe. Er war sehr nobel. Mein Vater wollte ihm eine ansehnliche Mitgift schenken, denn zu jener Zeit waren wir ziemlich vermögend, aber er hat abgelehnt.«
    »Sie auch?«
    »Ja. So dass sie sich von heute auf morgen an ein bescheidenes Leben gewöhnen musste. Wir waren dann auch dazu gezwungen, aber erst viel später.«
    »Verstehen sich Arlette und Ihre Frau gut?«
    »Ich glaube schon. Obwohl sie sehr verschieden sind. Mimi hat Kinder und einen Haushalt zu führen. Sie geht wenig aus.«
    »Würde sie nicht vielleicht gerne ausgehen? Wollte sie nie nach Paris ziehen?«
    »Ihr graut vor Paris.«
    »Vermisst sie auch Dieppe nicht?«
    »Vielleicht ein bisschen. Seit ich Abgeordneter bin, können wir leider nicht dorthin ziehen. Meine Wähler könnten das nicht verstehen.«
    Charles Bessons Worte harmonierten völlig mit der Umgebung, mit dem Meer und seinem Himmelblau wie auf der Postkarte, mit den Felsen, die anfingen zu glitzern, mit den Badegästen, die ankamen und der Reihe nach ihre Stammplätze einnahmen wie für eine Aufnahme. War das nun alles schließlich und endlich wirklich, oder sah es nur so aus? Hatte dieser selbstzufriedene große Junge recht?
    War Rose tot oder nicht?
    »Waren Sie nicht überrascht, als Sie Ihren Bruder am Sonntag hier trafen?«
    »Ein bisschen, am Anfang. Ich nahm an, er sei in Deauville, oder in irgendeinem Schloss in der Sologne, da wir ja schon September haben und die Jagdsaison eröffnet wurde. Wissen Sie, Theo lebt immer noch mondän. Als er noch Geld hatte, lebte er in Saus und Braus und benahm sich seinen Freunden gegenüber sehr großzügig. Sie haben es nicht vergessen, und jetzt sind sie es, die ihn einladen.«
    Wie die Dinge sofort einen anderen Aspekt annahmen! Ein paar Worte, und schon wurde von einem ganz anderen Theo gesprochen.
    »Verfügt er über Mittel?«
    »Finanzieller Art? Ich weiß es nicht. Wenn überhaupt, dann nur über wenig. Aber er hat auch keine Auslagen. Er ist Junggeselle.«
    Also doch ein kleiner Anflug von Neid in der Stimme dieses angesehenen Mannes, dem seine vier Kinder eine Last sind!
    »Er ist immer sehr elegant angezogen, weil er seine Kleidung sehr schont. Häufig ist er in der besseren Gesellschaft eingeladen. Ich glaube, gelegentlich macht er kleine

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