Maigret und die alte Dame
Freut mich, Sie wiederzusehen.«
Sein Auto war kürzlich neu lackiert worden.
»Keine schlechten Nachrichten?«
»Nein.«
»Meiner Stiefmutter?«
»Geht es anscheinend sehr gut. Arlette ist eben abgereist.«
»Ach! Sie ist noch einmal hergekommen? Das ist nett von ihr. Ich habe mir gedacht, dass sie ihrer Mutter beistehen würde.«
»Einen Augenblick bitte, Monsieur Besson.«
Maigret nahm Castaing beiseite, um ihm zu sagen, er solle nach Yport, wenn möglich auch nach Fécamp fahren.
»Entschuldigen Sie! Ich musste einige Anweisungen geben. Ich gestehe, dass ich nicht recht weiß, wo ich mich mit Ihnen unterhalten kann. Mein Zimmer ist um diese Zeit noch nicht gemacht.«
»Ich würde gerne etwas trinken. Wenn Ihnen die frische Luft nichts ausmacht, könnten wir uns auf die Terrasse des Kasinos setzen. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich nicht da war, als Sie ankamen. Meine Frau hat die Sache schrecklich mitgenommen. Ihre Schwester kam eben aus Marseille; sie ist dort mit einem Reeder verheiratet. Sie haben sonst keine Geschwister. Die Montets hatten keine Söhne, daher werde ich mich mit den Komplikationen herumschlagen müssen.«
»Rechnen Sie mit Komplikationen?«
»Ich kann über meine Schwiegermutter eigentlich nur Gutes sagen. Sie war eine tüchtige Frau, hatte aber, vor allem in letzter Zeit, ihre Marotten. Hat man Ihnen erzählt, dass ihr Mann Bauunternehmer war? Die Hälfte der Häuser in Dieppe und viele öffentliche Gebäude hat er gebaut. Der größte Teil des Vermögens ist in Grundstücken angelegt. Meine Schwiegermutter führte seit dem Tod ihres Mannes die Geschäfte persönlich. Sie willigte aber nie ein, irgendwelche Reparaturen ausführen zu lassen. Es wird also zu einer nicht absehbaren Anzahl von Prozessen kommen, mit Mietern, mit der Stadtverwaltung und dem Fiskus.«
»Eine Frage, Monsieur Besson. Trafen sich Ihre Schwiegermutter Montet und Valentine öfter?«
Maigret trank noch einen Kaffee mit Rum und beobachtete dabei sein Gegenüber, das aus der Nähe weicher und labiler wirkte.
»Leider nein. Sie sind sich immer aus dem Weg gegangen.«
»Beide?«
»Das heißt, die Mutter meiner Frau lehnte es ab, Valentine zu besuchen. Es ist eine lächerliche Geschichte. Als ich ihr Mimi vorstellte, schaute Valentine sich genau ihre Hände an und sagte so etwas Ähnliches wie:
>Sie haben sicherlich nicht die Hände Ihres Vaters?<
>Warum?<
>Weil ich mir Maurerhände größer und breiter vorstelle als Ihre.<
Es ist wirklich ganz dumm. Mein Schwiegervater hat zwar als Maurer angefangen, aber er blieb nur kurze Zeit dabei. Trotzdem ist er ziemlich ungehobelt geblieben. Ich glaube, er machte es absichtlich, denn er hatte sehr viel Geld; er war eine bekannte Persönlichkeit in Dieppe und in der Gegend, und es machte ihm Spaß, die Leute mit seinem Aussehen und seiner Sprechweise zu schockieren. Als meine Schwiegermutter das erfuhr, war sie natürlich gekränkt. >Immer noch besser, als die Tochter eines Fischers zu sein, der sich in allen Bistros zu Tode getrunken hat.< Dann erzählte sie aus der Zeit, als Valentine bei den Schwestern Seuret Verkäuferin war.«
»Und beschuldigte sie, keinen vorbildlichen Lebenswandel zu führen?«
»Ja. Sie verwies auf den Altersunterschied zwischen ihr und ihrem Mann. Kurz, sie wollten sich nicht sehen.«
Er zuckte die Schultern und fügte hinzu: »So etwas kommt in jeder Familie vor. Trotzdem ist jede auf ihre Art eine anständige Frau.«
»Mögen Sie Valentine sehr?«
»Ja. Sie war immer sehr nett zu mir.«
»Und Ihre Frau?«
»Mimi mag sie natürlich nicht so gern.«
»Streiten sie sich?«
»Sie sehen sich wenig, durchschnittlich einmal im Jahr. Vorher rede ich ihr immer zu, Geduld mit Valentine zu haben, weil sie eine alte Frau ist. Sie verspricht es zwar, aber trotzdem fallen immer spitze Bemerkungen.«
»Auch am letzten Sonntag?«
»Ich weiß es nicht. Ich war mit den Kindern spazieren.«
Bei dem Wort >Kinder< fragte sich Maigret, was diese wohl von ihrem Vater hielten. Wie die meisten Kinder hielten sie ihn wahrscheinlich für einen starken und intelligenten Menschen, der sie schützen und führen konnte auf ihrem Lebensweg. Sie konnten nicht sehen, dass er weich und realitätsfremd war.
Mimi würde sagen: >Er ist so gut.<
Weil er alle Welt mochte und das Leben mit großen unschuldigen Augen betrachtete und genoss. Er wollte eigentlich energisch, intelligent, der beste Mensch überhaupt sein! Und er hatte Ideen, er steckte
Weitere Kostenlose Bücher