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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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und es bleibe ihr nur noch übrig, sich das Leben zu nehmen. Sie hat das freilich nicht so direkt gesagt. Bei Luise war alles immer etwas unklar.«
    »Haben Sie ihr Geld gegeben?«
    »Drei oder vier Tausendfrancscheine. Ich habe sie nicht gezählt.«
    »Haben Sie ihr etwas von dem Brief gesagt?«
    »Ja.«
    »Was haben Sie ihr genau gesagt?«
    »Was darin stand.«
    »Hatten Sie ihn gelesen?«
    »Ja.«
    Wieder ein Schweigen.
    »Ob Sie’s mir nun glauben oder nicht, ich habe ihn nicht aus Neugier gelesen. Ich habe ihn nicht einmal aufgemacht. Marco hat ihn in meiner Handtasche gefunden. Ich habe ihm die Geschichte erzählt, und er hat mir nicht geglaubt. Darauf habe ich zu ihm gesagt: ›Dann mach ihn doch auf, da wirst du’s selber sehen.‹«
    Mit leiser Stimme sprach sie zu ihrem Mann, der immer noch in der Zelle war.
    »Sei still«, sagte sie. »Es ist besser, ich sage die Wahrheit. Sie werden sie doch herausbekommen.«
    »Erinnern Sie sich an den Inhalt des Briefes?«
    »Nicht Wort für Wort. Er war in schlechtem Französisch geschrieben, voll orthographischer Fehler. Es stand ungefähr folgendes darin:
    ›Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen und muß Sie dringend sprechen. Fragen Sie in der Pickwick-Bar in der Rue de l’Étoile nach Fred. Das bin ich. Wenn ich nicht dort bin, wird der Barmixer Ihnen sagen, wo Sie mich finden können.‹
    Sind Sie noch am Apparat, Herr Kommissar?«
    Maigret machte sich Notizen und murmelte:
    »Ja.«
    »Weiter hieß es dann: ›Es ist möglich, daß ich nicht mehr sehr lange in Frankreich bleiben kann. In dem Fall werde ich das Dokument bei dem Barmixer hinterlassen. Er wird von Ihnen verlangen, daß Sie sich ausweisen können. Warum, das werden Sie dann schon begreifen.‹«
    »Ist das alles?«
    »Ja.«
    »Haben Sie Luise den Inhalt des Briefes mitgeteilt?«
    »Ja.«
    »Schien sie zu verstehen, was es bedeutete?«
    »Nicht sofort. Aber dann fiel ihr wohl etwas ein, und sie hat sich bei mir bedankt und ist gegangen.«
    »Haben Sie im Laufe der Nacht noch einmal etwas von ihr gehört?«
    »Nein, wie sollte ich auch? Erst zwei Tage später, als ich zufällig die Zeitung überflog, habe ich erfahren, daß sie tot ist.«
    »Glauben Sie, daß sie in die Pickwick-Bar gegangen ist?«
    »Das ist doch wohl anzunehmen. Oder was hätten Sie an ihrer Stelle getan?«
    »Wußte niemand außer Ihnen und Ihrem Mann davon?«
    »Das kann ich nicht sagen. Der Brief hat zwei oder drei Tage lang in meiner Tasche gesteckt.«
    »Wohnten Sie im Hotel Washington.«
    »Ja.«
    »Hat Sie niemand dort besucht?«
    »Niemand, außer Marco.«
    »Wo befindet sich der Brief jetzt?«
    »Ich habe ihn wohl mit anderen Papieren abgelegt.«
    »Sind Ihre Sachen im Hotel?«
    »Nein. Ich habe sie am Tage vor unserer Hochzeit zu Marco bringen lassen, bis auf meine Toilettengegenstände und einige Kleider, die der Diener am Hochzeitstag abgeholt hat. Glauben Sie, daß dieser Brief der Grund für ihren Tod ist?«
    »Das ist durchaus möglich. Hat sie nie mit Ihnen über ihren Vater gesprochen?«
    »Ich habe sie einmal gefragt, wer das auf dem Foto sei, das sie in ihrem Portemonnaie hatte, und sie hat mir geantwortet:
    ›Mein Vater.‹
    ›Lebt er noch?‹ habe ich weiter gefragt.
    Sie hat mich daraufhin nur stumm angeblickt, als ob sie nichts weiter darüber sagen wollte. Und so habe auch ich geschwiegen. Als wir ein andermal über unsere Eltern sprachen, habe ich sie gefragt:
    ›Was ist dein Vater eigentlich?‹
    Sie hat mich wieder so stumm angestarrt, wie es nun einmal ihre Art war. Jetzt, da sie tot ist, möchte ich nichts Schlechtes über sie sagen, aber…«
    Ihr Mann schien ihr zu bedeuten, zu schweigen.
    »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
    »Ich danke Ihnen. Wann gedenken Sie nach Paris zurückzukehren?«
    »Heute in einer Woche.«
    Janvier hatte das Gespräch an einem anderen Hörer verfolgt.
    »Mir scheint, wir haben jetzt Lognons Spur wiedergefunden«, sagte er mit einem leisen Lächeln.
    »Kennst du die Pickwick-Bar?«
    »Ich bin dort schon vorbeigekommen, aber nie hineingegangen.«
    »Ich auch nicht. Hast du Hunger?«
    »Ich möchte lieber erst noch mehr von der Sache herausbekommen.«
    Maigret öffnete die Tür zum Büro der Inspektoren und fragte Lucas:
    »Noch nichts von Lognon?«
    »Noch nichts, Chef.«
    »Wenn er dich anruft, kannst du mich in der Pickwick-Bar in der Rue de l’Étoile erreichen.«
    »Ich habe eben einen Besuch gehabt, Chef. Eine Pensionswirtin aus der Rue

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