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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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d’Aboukir war bei mir. Sie hat lange gebraucht, bis sie sich entschloß, herzukommen. Sie scheint in den letzten Tagen so beschäftigt gewesen zu sein, daß sie keine Zeitung gelesen hat. Kurzum, sie hat mir berichtet, Luise Laboine habe vier Monate lang in ihrer Pension gewohnt.«
    »Wann war das?«
    »Vor noch nicht langer Zeit. Erst vor zwei Monaten ist sie ausgezogen.«
    »Dann ist sie also von dort in die Rue de Clichy umgezogen.«
    »Ja. Sie arbeitete als Verkäuferin in einem Geschäft am Boulevard de Magenta. Es ist eins jener Geschäfte, die auf der Straße einen Stand für billige Gelegenheitskäufe haben. Sie hat sich beim Verkaufen dort eine Bronchitis geholt und hat eine Woche lang das Zimmer hüten müssen.«
    »Wer hat sie gepflegt?«
    »Niemand. Ihr Zimmer, eine Art Mansarde, befand sich im obersten Stock. Es ist eine letztklassige Pension, in der vor allem Nordafrikaner wohnen.«
    Die Lücken hatten sich jetzt fast alle geschlossen, und es wurde damit möglich, das Leben des jungen Mädchens zu rekonstruieren, von dem Augenblick an, da sie ihre Mutter in Nizza verlassen hatte, bis zu der Nacht, da sie zu Janine ins Romeo gekommen war.
    »Kommst du mit, Janvier?«
    Es blieb nur noch festzustellen, was sie in den letzten beiden Stunden ihres Lebens getan hatte. Der Taxichauffeur hatte sie an der Place Saint-Augustin gesehen, und dann noch einmal an der Ecke des Boulevard Haussmann und des Faubourg Saint-Honoré.
    Das war der Weg, den man gehen mußte, wenn man sich zur Rue de l’Étoile begeben wollte.
    Luise, die mit ihrem Leben nie recht fertiggeworden war, deren einzige Freundin ein Mädchen war, das sie zufällig im Zuge kennengelernt hatte, ging schnell und ganz allein im Regen, als ob sie es eilig hätte, ihrem Schicksal in die Arme zu laufen.

 
    ACHTES KAPITEL
     
     
     
    Das Haus zwischen einer Schuhmacherwerkstatt und einer Wäscherei, in der man Büglerinnen bei der Arbeit sah, war so schmal, daß die meisten Leute gewiß an ihm vorübergingen, ohne zu bemerken, daß sich in ihm eine Bar befand. Die grünen Butzenscheiben verbargen das Innere jedem Blick von draußen, und über der von einem dunkelroten Vorhang verhüllten Tür hing eine altmodische Laterne, auf der in gotischen Buchstaben Pickwick-Bar stand.
    In dem Augenblick, da Maigret das Lokal betrat, ging eine Verwandlung in ihm vor. Er schien plötzlich härter und unpersönlicher zu werden, und auch Janviers Haltung änderte sich automatisch.
    In der Bar war kein Gast. Durch die grünen Butzenscheiben wirkte der Raum düster, und nur hier und dort fiel ein Lichtschein auf die Holztäfelungen.
    Ein Mann in Hemdsärmeln, der sich bei ihrem Eintritt erhoben hatte, legte irgend etwas hin, wahrscheinlich ein Brot, das er, unsichtbar hinter der Theke sitzend, gerade aß, als sich die Tür öffnete.
    Mit noch vollem Munde sah er den beiden entgegen, ohne etwas zu sagen, ohne daß sich etwas in seinem Gesicht bewegte. Er hatte blauschwarzes Haar, dicke Brauen, die ihm einen eigensinnigen Ausdruck gaben, und ein tiefes Grübchen im Kinn. Maigret schien ihn kaum zu beachten, aber man merkte deutlich, daß sie beide einander sofort erkannten und nicht zum erstenmal miteinander zu tun hatten. Langsam ging er auf einen der hohen Barhocker zu, setzte sich, knöpfte seinen Mantel auf und schob seinen Hut nach hinten. Janvier machte es ebenso.
    Nach einem Schweigen fragte der Barbesitzer:
    »Trinken Sie etwas?«
    Maigret blickte Janvier fragend an:
    »Und du?«
    »Wenn Sie etwas trinken…«
    »Na, dann gib uns zwei Pernod, wenn du welchen da hast.«
    Albert schenkte ihn ein, stellte eine Karaffe mit Eiswasser auf die Mahagonitheke, wartete, und einen Augenblick konnte man glauben, daß sie spielten, wer am längsten zu schweigen vermochte. Schließlich sagte der Kommissar:
    »Wann war Lognon hier?«
    »Ich wußte nicht, daß er Lognon heißt. Ich habe ihn immer den Pechvogel nennen hören.«
    »Wann war er hier?«
    »Vielleicht um elf. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen.«
    »Wo hast du ihn hingeschickt?«
    »Nirgendwohin.«
    »Was hast du ihm gesagt?«
    »Ich habe nur auf seine Fragen geantwortet.«
    Maigret nahm ein paar Oliven von einer Untertasse, die auf der Theke stand, und aß sie nacheinander mit einer Miene, als ob er an etwas ganz anderes dächte.
    Schon beim Hereinkommen, als der Wirt sich hinter seiner Theke erhob, hatte er in ihm einen gewissen Albert Falconi erkannt, einen Korsen, der mindestens zweimal wegen verbotenen

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