Maigret und die Unbekannte
hier?«
»Nachmittags von vier Uhr an, und dann fast den ganzen Abend bis spät in die Nacht.«
»Wann machst du zu?«
»Um zwei oder drei Uhr morgens, je nachdem.«
»Sprach er mit dir?«
»Manchmal.«
»Von sich?«
»Von diesem und jenem.«
»Hat er dir gestanden, daß er gerade aus dem Gefängnis entlassen war?«
»Er hat es mir durch die Blume zu verstehen gegeben.«
»In Sing-Sing?«
»Ich glaube. Wenn Sing-Sing im Staat New York liegt, am Ufer des Hudson, dann war es das.«
»Hat er dir nicht gesagt, was der Umschlag enthielt?«
»Nein. Nur, daß es wichtig sei. Er hatte es eilig, wegzukommen.«
»Der Polizei wegen?«
»Seiner Tochter wegen. Sie heiratete in der nächsten Woche in Baltimore. Darum mußte er so schnell fort.«
»Hat er dir das junge Mädchen beschrieben, das kommen würde?«
»Nein. Er hat mir nur gesagt, ich solle mich vergewissern, ob sie es auch wirklich sei. Darum habe ich ihren Personalausweis verlangt.«
»Hat sie den Brief in der Bar gelesen?«
»Sie ist hinuntergegangen.«
»Was befindet sich unten?«
»Die Telefonzelle und die Toiletten.«
»Glaubst du, daß sie hinuntergegangen ist, um dort den Brief zu lesen?«
»Ich nehme es an.«
»Hat sie ihre Handtasche mitgenommen?«
»Ja.«
»Wie wirkte sie, als sie wieder heraufkam?«
»Weniger deprimiert als vorher.«
»Hatte sie schon getrunken, ehe sie hier hereinkam?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht.«
»Was hat sie dann getan?«
»Sie hat sich wieder an die Theke gesetzt.«
»Hat sie noch einen Martini bestellt?«
»Sie nicht. Der andere Amerikaner.«
»Was für ein anderer Amerikaner?«
»Ein großer Kerl mit einer Narbe im Gesicht und zerfetzten Ohren.«
»Kennst du ihn?«
»Ich weiß nicht einmal seinen Vornamen.«
»Wann kam er zum erstenmal in deine Bar?«
»Ungefähr zur gleichen Zeit wie Jimmy.«
»Kannten sie sich?«
»Jimmy kannte ihn bestimmt nicht.«
»Und der andere?«
»Ich hatte das Gefühl, daß er ihn verfolgte.«
»Kam er zu der gleichen Zeit?«
»Ja, ungefähr, und in einem großen grauen Klapperkasten, den er vor der Tür parkte.«
»Hat Jimmy nicht mit dir über ihn gesprochen?«
»Er hat mich gefragt, ob ich ihn kenne.«
»Hast du gesagt: nein?«
»Ja. Das scheint ihn beunruhigt zu haben. Dann hat er mir gesagt, das müsse einer von der amerikanischen Kriminalpolizei sein, der wissen wolle, was er hier in Frankreich mache, und ihn überwache.«
»Glaubst du, daß es so war?«
»Ich glaube schon lange überhaupt nichts mehr.«
»Ist der andere noch gekommen, als Jimmy wieder nach Amerika gefahren war?«
»Regelmäßig.«
»Stand ein Name auf dem Umschlag?«
»Luise Laboine und darunter Paris.«
»Konnten die Gäste von ihren Plätzen aus den Namen lesen?«
»Bestimmt nicht.«
»Verläßt du die Theke nie für einen Augenblick?«
»Wenn Leute im Lokal sind, nicht. Ich traue niemandem.«
»Hat er sie angesprochen?«
»Er hat sie gefragt, ob er ihr ein Glas spendieren dürfe.«
»Hat sie es angenommen?«
»Sie hat mich angesehen, als ob sie mich um Rat fragen wollte. Man merkte ihr an, daß sie es nicht gewöhnt war.«
»Hast du ihr einen Wink gegeben, es anzunehmen?«
»Ich habe ihr keinen Wink gegeben. Ich habe nur die zwei Martinis eingegossen und bin dann ans andere Ende der Theke gegangen, weil man mich dort rief. So habe ich nicht weiter darauf geachtet.«
»Sind das junge Mädchen und der Amerikaner zusammen fortgegangen?«
»Ich glaube.«
»Sind sie mit dem Wagen gefahren?«
»Ich habe das Brummen eines Motors gehört.«
»Ist das alles, was du Lognon gesagt hast?«
»Nein. Er hat mir noch andere Fragen gestellt.«
»Was für Fragen?«
»Zum Beispiel: ob der Mann nicht angerufen hätte? Ich habe ihm geantwortet: nein. Dann, ob ich wüßte, wo er wohnte. Ich habe wieder gesagt: nein. Schließlich, ob ich keine Ahnung hätte, wohin er gegangen sein könnte?«
Albert blickte jetzt Maigret beklommen an und wartete.
»Nun, und weiter?«
»Da ich’s Lognon gesagt habe, kann ich es Ihnen ja auch sagen. Am Tage zuvor hatte mich der Amerikaner gefragt, wie man am besten nach Brüssel komme. Ich habe ihm geraten, über St. Denis und Compiègne zu fahren und dann…«
»Ist das alles?«
»Nein. Vielleicht eine Stunde bevor das Mädchen kam, hat er mich noch einmal wegen Brüssel gefragt. Diesmal wollte er wissen, wo man dort am besten wohne. Ich habe ihm geantwortet, ich stiege im Palace gegenüber dem Nordbahnhof ab.«
»Wie spät war es, als
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