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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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seine Verurteilung erreicht. Allerdings hatte er da fünf Jahre sitzen müssen.
    Der Kommissar erhob sich und öffnete die Tür zum Büro der Inspektoren.
    »Ist Torrence da?«
    Man holte ihn.
    »Nimm zwei oder drei Mann mit. Stell fest, ob die große Jeanne noch immer in der Rue Lepic wohnt. Es ist möglich, daß du Bianchi bei ihr findest. Wenn er nicht dort ist, dann versuch aus ihr herauszubekommen, wo er sich aufhält. Sei aber vorsichtig, denn er schießt leicht.«
    Ohne eine Miene zu verziehen, hörte Albert zu.
    »Fahr fort.«
    »Ist es denn noch nicht genug?«
    »Bianchi konnte doch nicht irgend jemand in die Vereinigten Staaten schicken, der zu Lukasek ging und das Geld forderte. Er ahnte bestimmt, daß der Pole instruiert war und von dem jungen Mädchen den Beweis ihrer Identität verlangen würde.«
    Das war sonnenklar, daß er keine Antwort darauf erwartete.
    »Ihr habt also gewartet, bis sie sich in deiner Bar einfand.«
    »Wir hatten nicht die Absicht, sie umzubringen.«
    Zu seinem Erstaunen hörte Albert Maigret darauf antworten:
    »Davon bin ich überzeugt.«
    Es waren Berufsverbrecher, die keine unnütze Risiken auf sich nahmen. Alles, was sie brauchten, war der Personalausweis des jungen Mädchens. Sobald sie dieses Dokument in ihrem Besitz hatten, würde es ihnen gelingen, einen Paß für irgendein Mädchen zu erhalten, das Luise Laboines Rolle spielen sollte.
    »War Bianchi in deiner Bar?«
    »Ja.«
    »Ist sie gegangen, ohne den Brief zu öffnen?«
    »Ja.«
    »Hatte dein Chef seinen Wagen vor der Tür stehen?«
    »Mit dem Tätowierten am Steuer. Da ich nun schon soviel gesagt habe, kann ich auch das noch verraten.«
    »Haben sie sie verfolgt?«
    »Ich war nicht dabei. Was ich davon weiß, haben sie mir später erzählt. Sie brauchen den Tätowierten nicht in Paris zu suchen. Nach dem, was passiert ist, hat er’s mit der Angst gekriegt und ist verduftet.«
    »Nach Marseille?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Sie wollten ihr wohl die Handtasche stehlen?«
    »Ja. Sie haben sie eingeholt. Bianchi ist aus dem Auto gestiegen. Auf der Straße war kein Mensch. Er hat die Handtasche gepackt, ohne zu wissen, daß sie an einer Kette am Handgelenk des Mädchens hing. Sie ist in die Knie gegangen. Als er sah, daß sie den Mund öffnete, um zu schreien, hat er sie ins Gesicht geschlagen. Sie scheint sich an ihn geklammert und versucht zu haben, um Hilfe zu rufen. Da hat er einen Knüppel aus seiner Tasche gezogen und zugeschlagen.«
    »Hast du die Geschichte von dem zweiten Amerikaner nur erfunden, um Lognon auf eine falsche Spur zu locken?«
    »Was hätten Sie an meiner Stelle getan? Der Pechvogel hat sich davon blenden lassen.«
    Während des größten Teils der Untersuchung war der Inspektor trotzdem fast immer der Kriminalpolizei ein Stück voraus gewesen, und hätte er sich mehr in die Seele des jungen Mädchens versetzt, hätte er wahrscheinlich den Triumph erlebt, auf den er schon lange wartete, ohne noch daran zu glauben.
    Woran dachte er jetzt, während er im Zug von Brüssel zurückfuhr? Er beklagte gewiß sein Pech, war mehr denn je davon überzeugt, daß die ganze Welt sich gegen ihn verbündete. Technisch hatte er keinen Fehler begangen, und in keinem Polizeikurs lernt man, sich in die Seele eines jungen Mädchens zu versetzen, das von einer halbverrückten Mutter in Nizza erzogen worden ist.
    Jahrelang hatte Luise beharrlich ihren Platz im Leben gesucht, ohne ihn zu finden. Verloren in einer Welt, die sie nicht begriff, hatte sie sich verzweifelt an die erste beste geklammert, und diese Freundin hatte sie schließlich sitzenlassen.
    So von allen verlassen, versuchte sie, sich in einer feindlichen Welt zu behaupten und die Spielregeln zu lernen, ohne daß es ihr gelang.
    Zweifellos wußte sie nichts von ihrem Vater. Schon als kleines Mädchen mußte sie sich fragen, warum ihre Mutter nicht wie die anderen war, warum sie beide so ganz anders als die Nachbarinnen lebten. Mit all ihren Kräften hatte sie sich um ein normales Leben bemüht. Sie war von zu Hause ausgerissen, hatte die kleinen Anzeigen gelesen, aber während Janine Armenieu ohne jede Mühe eine Arbeit fand, wurde sie aus allen Stellungen immer wieder hinausgeworfen.
    Hatte sie schließlich wie Lognon geglaubt, daß sich alle gleichsam gegen sie verschworen hätten?
    Inwiefern unterschied sie sich so sehr von den anderen? Warum mußte sie immer Pech haben?
    Selbst ihr Tod war fast eine Ironie des Schicksals. Hätte sie sich die Kette der

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