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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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war herausgequollen und zu einem stecknadelkopfgroßen Klümpchen geronnen.
    Die Augen des Kommissars trübten sich, sein Gesicht, war von einer Empörung gezeichnet, für die die Worte fehlten.
    Es war widerlich und dennoch der Gipfel verbrecherischer Geschicklichkeit! Er brauchte nicht länger zu suchen. Er kannte das Verfahren, von dem er wenige Monate zuvor in einer deutschen Kriminalzeitschrift gelesen hatte.
    Die chloroformgetränkte Serviette macht das Opfer zunächst in zwanzig oder dreißig Sekunden bewußtlos. Dann führt der Mörder in aller Ruhe eine lange Nadel zwischen zwei Rippen zum Herz hindurch und tötet so, geräuschlos und ohne Spuren zu hinterlassen.
    Genau das gleiche Verbrechen war vor sechs Monaten in Hamburg begangen worden.
    Eine Kugel kann ihr Ziel verfehlen oder nur verwunden. Maigret war der Beweis dafür. Sie ist laut und macht schmutzig.
    Die Nadel, die man einem reglosen Menschen ins Herz sticht, führt wissenschaftlich einwandfrei den Tod herbei.
    Der Kommissar erinnerte sich an ein Detail. Am Abend, als der Geschäftsführer den Aufbruch der Mortimers angekündigt hatte, nagte er an einer Hühnerkeule, saß auf der Heizung und war in einem Anflug des Wohlbefindens nahe daran gewesen, selbst im Hotel Wache zu halten und Torrence ins Theater zu schicken.
    Dieser Gedanke bewegte ihn. Beschämt blickte er auf seinen Kollegen und verspürte ein allgemeines Unbehagen, von dem er nicht sagen konnte, ob es von seiner Verwundung, der Erregung oder den Chloroformdünsten herrührte.
    Es kam ihm nicht einmal in den Sinn, eine richtige, vorschriftsmäßige Untersuchung einzuleiten.
    Da lag Torrence. Torrence, mit dem er alle Untersuchungen der letzten Jahre durchgeführt hatte. Torrence, dem er nur ein Wort zu sagen, ein Zeichen zu geben brauchte, um sich verständlich zu machen.
    Torrence, dessen Mund offenstand, als wollte er versuchen, noch ein bißchen Sauerstoff einzuatmen, ja sogar zu leben. Und Maigret, der nicht weinen konnte, fühlte sich krank, beunruhigt, mit einer Last auf seinen Schultern und Übelkeit im Magen.
    Wieder ging er zum Telefon. Er sprach so leise, daß man ihn zweimal bitten mußte, den Teilnehmer zu wiederholen.
    »Das Polizeipräsidium … Ja … Hallo! … Das Polizeipräsidium … Ja, wer ist am Apparat? … Wie? … Tarraud? … Hören Sie … Sie laufen zum Chef … Ja, zu ihm … Sagen Sie ihm … Sagen Sie ihm, er soll zu mir ins Majestic kommen … Sofort … Zimmer … Ich weiß die Nummer nicht, aber man wird ihn schon hinführen … Wie? … Nein, nichts weiter … Hallo! … Was sagen Sie? … Nein, ich habe nichts …«
    Er legte auf, denn sein Kollege stellte Fragen, fand seine Stimme merkwürdig und den Auftrag noch merkwürdiger.
    Einen Augenblick blieb er mit herabhängenden Armen stehen. Er vermied es, in die Ecke zu schauen, wo Torrence lag. In einem Spiegel sah er sein Bild und stellte fest, daß das Blut durch die Serviette gedrungen war. Darauf zog er mit großer Mühe seine Jacke aus.
     
    Als eine Stunde später der Leiter der Kriminalabteilung in Begleitung eines Hotelangestellten, der ihm den Weg gewiesen hatte, an die Tür klopfte, sah er den Schatten Maigrets, der sich in dem schmalen Türspalt abzeichnete.
    »Sie können gehen!« sagte der Kommissar mit schleppender Stimme zu dem Angestellten.
    Und er öffnete die Tür vollends, als der Mann sich entfernt hatte. Da erst merkte der Chef, daß Maigrets Oberkörper nackt war. Die Badezimmertür stand weit offen. Auf dem Boden befanden sich rötliche Wasserlachen.
    »Machen Sie schnell zu!« sagte der Kommissar, ohne auf Rangunterschiede Rücksicht zu nehmen.
    Er hatte eine sehr lange, geschwollene Wunde an der rechten Brustseite. Seine Hosenträger hingen auf die Schenkel herab.
    Er wies mit dem Kopf auf die Ecke, in der Torrence lag, und legte einen Finger an die Lippen.
    »Psst!«
    Den Chef überlief ein Schauder. Plötzlich beunruhigt, fragte er:
    »Tot?«
    Maigret nickte.
    »Wollen Sie mir zur Hand gehen, Chef?« murmelte er matt.
    »Aber … Sie … Das sieht ja böse aus!«
    »Psst! … Die Kugel ist draußen, das ist die Hauptsache! … Helfen Sie mir, das Tischtuch darumzuwickeln …«
    Er hatte das Geschirr auf den Boden gestellt und das Tischtuch entzweigeschnitten.
    »Die Bande des Letten …«, erklärte er. »Sie haben mich verfehlt … Aber meinen guten Torrence haben sie nicht verfehlt …«
    »Haben Sie die Wunde desinfiziert?«
    »Ja, mit Seife und dann mit

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