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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Jodtinktur.«
    »Sie glauben, daß …«
    »Das genügt für den Augenblick! … Eine Nadel, Chef! … Sie haben ihn mit einer Nadel getötet, nachdem sie ihn eingeschläfert haben …«
    Er war nicht mehr derselbe Mann. Man hatte den Eindruck, ihn durch einen Tüllvorhang zu sehen und zu hören, der Bilder und Laute dämpfte.
    »Reichen Sie mir mein Hemd …«
    Eine gleichgültige Stimme. Gemäßigte, ungenaue Bewegungen. Ein ausdrucksloses Gesicht.
    »Sie mußten herkommen … Da es sich um einen von uns handelt … Abgesehen davon, daß ich jedes Aufsehen vermeiden wollte … Man soll ihn gleich abholen … Kein Wort in den Zeitungen … Sie haben doch Vertrauen in mich, nicht wahr, Chef?«
    Trotzdem war ein kaum wahrnehmbares Zittern in seiner Stimme. Das rührte seinen Gesprächspartner, der ihm die Hand reichte.
    »Aber Maigret! … Was haben Sie denn?«
    »Nichts … Ich bin ganz ruhig, das schwöre ich Ihnen. Ich glaube, ich bin nie so ruhig gewesen. Aber jetzt ist das eine Sache zwischen denen und mir … Sie werden verstehen …«
    Sein Vorgesetzter half ihm, seine Weste, seine Jacke anzuziehen. Maigret wirkte durch den Verband unförmig, der seine Taille aufpolsterte und ihm die klaren Linien seiner Figur nahm, so daß er Fettwülste zu haben schien.
    Er schaute in den Spiegel und zog eine spöttische Grimasse. Er spürte die Weichlichkeit seiner Haltung. Das war nicht mehr der harte, riesige Brocken aus einem Guß, den er vor seinen Gegnern aufzubauen liebte.
    Das bleiche, stellenweise rotgefleckte Gesicht wirkte aufgedunsen, und zunehmend bildeten sich Säcke unter den Augen.
    »Danke, Chef! Sie meinen, daß es gehen wird, was Torrence anbelangt?«
    »Die Öffentlichkeit auszuschließen, ja … Ich werde die Staatsanwaltschaft benachrichtigen … Mit dem Staatsanwalt rede ich persönlich.«
    »Gut! Dann mache ich mich an die Arbeit.«
    Während er das sagte, strich er sein Haar etwas glatt. Dann trat er zu dem Toten, zögerte und fragte:
    »Ich kann ihm doch die Augen zudrücken? … Ich glaube, es wäre ihm lieber, wenn ich das tue …«
    Seine Finger zitterten. Er ließ sie ein Weilchen als zärtliche Geste auf den Lidern des Toten ruhen. Sein Vorgesetzter drängte ihn unruhig:
    »Maigret! …«
    Der Kommissar erhob sich und sah sich ein letztes Mal um.
    »Auf Wiedersehen, Chef! Sagen Sie meiner Frau lieber nicht, daß ich verletzt bin …«
    Seine Gestalt füllte für einen Augenblick den ganzen Türrahmen aus. Der Leiter der Kriminalabteilung hätte ihn beinah noch einmal zurückgerufen, denn er machte sich Sorgen um ihn.
    Während des Krieges hatten sich seine Waffenkameraden mit der gleichen Ruhe, der gleichen unnatürlichen Sanftheit von ihm verabschiedet, bevor sie zum Angriff antraten.
    Und sie waren nie wiedergekommen!

9
    Der Killer
     
    Internationale Banden, die auf Projekte größeren Stils spezialisiert sind, verlegen sich nur selten aufs Töten.
    Grundsätzlich kann man sogar behaupten, daß sie gar nicht töten, zumindest diejenigen nicht, die sie um einige Millionen erleichtern wollen. Sie wenden beim Diebstahl eher wissenschaftliche Methoden an, und die meisten ihrer Mitglieder sind Gentlemen, die keine Waffen tragen.
    Gelegentlich töten sie jedoch, um miteinander abzurechnen. Jedes Jahr werden irgendwo ein oder zwei Verbrechen begangen, die nicht aufgeklärt werden können. Meistens wird das Opfer nicht identifiziert und unter einem offensichtlich falschen Namen begraben.
    In diesen Fällen handelt es sich um einen Verräter oder um einen Mann, den der Alkohol geschwätzig gemacht hat und dem Fehler unterlaufen sind, oder aber um einen Komparsen, dessen Ehrgeiz die bestehenden Machtverhältnisse bedroht.
    In Amerika, dem Land der Standardisierung, sind solche Beseitigungen nie das Werk eines Bandenmitglieds. Man wendet sich an Spezialisten, an sogenannte Killer, die wie die offiziellen Henker ihre Gehilfen und ihren Tarif haben.
    In Europa ist das manchmal ähnlich gewesen. Unter anderem hat die berühmte Polenbande, deren Anführer auf dem Schafott gelandet sind, mehrfach die Dienste anderer Verbrecher in Anspruch genommen, um sich die Hände nicht mit Blut zu beschmutzen.
    Maigret dachte daran, als er die Treppe hinunterging und sich ins Büro des Majestic begab.
    »Wenn ein Gast wegen des Essens anruft, mit wem wird er dann verbunden?« fragte er.
    »Mit einem speziellen Oberkellner, der für den Zimmerdienst zuständig ist.«
    »Auch nachts?«
    »Pardon! Von neun Uhr abends an

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