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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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…«
    Während er die Treppe hinunterging, verbreitete sich unter dem Personal das Gerücht, daß ein sonderbarer, verletzter, gespenstisch aussehender Mann durch das Haus irre.
    Er lehnte sich einen Augenblick an die Wand, hinterließ einen Blutfleck, und drei kleine, ganz dunkelrote Tropfen fielen auf den Teppich.
    Dann gewahrte er endlich das Appartement der Mortimers und daneben das Zimmer, in dem sich Torrence aufhielt. Leicht taumelnd erreichte er diese Tür, stieß sie auf …
    »Torrence! …«
    Das Zimmer war erleuchtet. Der Tisch stand noch immer voller Speisen und Flaschen.
    Maigrets dichte Augenbrauen zogen sich zusammen. Er sah seinen Kollegen nicht. Statt dessen hing ein Geruch wie nach Krankenhaus im Raum.
    Er machte noch ein paar schwankende Schritte. Und plötzlich blieb er vor einem Sofa stehen.
    Ein Fuß mit einem schwarzen Lederschuh ragte darunter hervor.
    Drei Anläufe mußte er machen, denn sobald er seine Hand von der Wunde zog, begann das Blut beunruhigend stark zu fließen.
    Schließlich nahm er eine Serviette vom Tisch und klemmte sie unter seine Weste, die er fest zuknöpfte. Von dem Geruch in diesem Zimmer wurde ihm übel.
    Mit schwachem Griff hob er das Sofa an der einen Seite an und drehte es auf zwei Füßen herum.
    Wie er vermutet hatte, lag dort Torrence, zusammengekrümmt, einen Arm umgebogen, als habe man ihm die Glieder gebrochen, um ihn auf schmalem Raum einzupferchen.
    Eine Binde verdeckte den unteren Teil des Gesichts, war aber nicht zugeknotet. Maigret kniete sich hin.
    All seine Bewegungen waren ruhig, ja langsam, zweifellos wegen seines eigenen Zustandes. Seine Hand zögerte, die Brust abzutasten. Und als sie die Herzgegend erreicht hatte, erstarrte der Kommissar, blieb unbeweglich auf dem Teppich knien und stierte auf seinen Mitarbeiter.
    Torrence war tot. Maigrets Mund verzog sich unmerklich. Seine Hand ballte sich zur Faust. Und während seine Augen trübe wurden, stieß er einen schrecklichen Fluch in die Stille des geschlossenen Zimmers.
    Es hätte komisch wirken können. Aber nein! Es war fürchterlich! Es war tragisch! Es war erschreckend!
    Maigrets Gesicht war hart geworden. Er weinte nicht. Das hätte er nicht vermocht. Aber seine Züge drückten eine solche Wut, einen derartigen Schmerz und gleichzeitig ein Erstaunen aus, daß es an Stumpfsinn grenzte.
    Torrence war dreißig Jahre alt. Seit fünf Jahren arbeitete er sozusagen nur noch mit dem Kommissar zusammen.
    Sein Mund stand offen, als habe er noch eine verzweifelte Anstrengung unternommen, um nach Luft zu schnappen.
    In der oberen Etage, genau über dem Toten, zog ein Reisender seine Schuhe aus.
    Maigret blickte um sich, auf der Suche nach einem Gegner. Er atmete schwer.
    So vergingen ein paar Minuten, und als er sich erhob, spürte er etwas tückisch in seinem Organismus weiterarbeiten.
    Er wandte sich zum Fenster, öffnete es und sah auf die leere Fahrbahn der Champs-Elysées. Einen Augenblick kühlte er seine Stirn an der frischen Luft, dann hob er die Binde auf, die er von Torrences Gesicht genommen hatte.
    Es war eine Damastserviette mit dem Monogramm des Majestic. Sie strömte noch immer einen starken Chloroformgeruch aus. Maigret blieb stehen, sein Kopf war leer, und nur ein paar unformulierte Gedanken stießen in dieser Leere mit schmerzhaftem Widerhall aufeinander.
    Noch einmal lehnte er sich wie zuvor auf dem Flur mit der Schulter an die Wand, und sein Gesicht verfiel plötzlich zusehends. Er schien gealtert, entmutigt. Vielleicht war er in diesem Moment nahe daran, in Schluchzen auszubrechen. Aber er war zu groß, zu massiv, aus zu hartem Holz.
    Das Sofa stand quer, berührte den unabgeräumten Tisch, wo auf einem Teller zwischen den Hühnerknochen Zigarettenkippen herumlagen.
    Der Kommissar streckte seine Hand nach dem Telefon aus. Aber er beruhte es nicht, schnippte wütend mit den Fingern, ging zu der Leiche zurück und starrte sie an.
    Mit einem bitter-ironischen Grinsen dachte er an die Vorschriften, an die Staatsanwaltschaft, an Formalitäten und Vorsichtsmaßnahmen, die zu treffen waren.
    Doch zählte das? Es ging um Torrence. Und das war genauso, als ob es ihn selbst betraf.
    Torrence gehörte zur Polizei, er …
    Maigret knöpfte bei allem Anschein der Ruhe die Weste so fieberhaft auf, daß zwei Knöpfe abrissen. Dann sah er etwas, und er wurde bleich.
    Auf dem Hemd war in der Höhe der Herzmitte ein kleiner brauner Fleck.
    Nicht einmal so groß wie eine Erbse. Ein einziger Blutstropfen

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