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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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niedergeschlagen, auf jeden Fall aber enttäuscht war, sich für ihre Verabredung um vier Uhr ankleidete!
    »Wollen Sie sich nicht setzen?«
    »Ich werde mal einen Blick nach nebenan werfen.«
    »Sie werden nur Julien Baud antreffen, Tortu ist im Justizpalast.«
    Er machte ein vage Geste.
    »Julien Baud ist mir auch recht!«
4
    Maigret hätte meinen können, er käme in eine andere Wohnung. So aufgeräumt und gepflegt die übrigen Räume waren, erstarrt in einer einst vom Präsidenten Gassin de Beaulieu gewünschten Feierlichkeit, so sehr frappierte die Unordnung und Nachlässigkeit in dem Büro, das Rene Tortu mit dem jungen Julien Baud teilte.
    Auf dem Schreibtisch am Fenster, einem ganz gewöhnlichen Bürotisch, häuften sich Aktenbündel, und die Regale aus Tannenholz waren vollgestopft mit grünen Ordnern, die man, wie’s gerade kam, übereinandergestapelt hatte. Sogar auf dem gebohnerten Parkett lagen welche herum.
    Julien Bauds Schreibtisch war ein ehemaliger Küchentisch, und als Schreibunterlage diente ihm Packpapier, das mit Reißzwecken auf der Tischplatte befestigt war. An der Wand klebten Zeitungsausschnitte mit Fotos von nackten Frauen. Baud machte gerade die Post fertig und wog die Briefe ab, als der Kommissar eintrat. Keine Verwunderung oder irgendeine andere Regung war in seinem Gesicht zu lesen, als er den Kopf hob. Er schien sich nur zu fragen, was der Kommissar wohl hier wollte.
    »Suchen Sie Tortu?«
    »Nein. Ich weiß, dass er im Justizpalast ist.«
    »Er wird bald zurück sein.«
    »Ich suche nicht speziell ihn.« »Wen dann?«
    »Niemanden.«
    Ein gutgebauter Junge, rothaarig, mit einem Gesicht voller Sommersprossen. Seine porzellanschimmernden blauen Augen drückten eine absolute Ruhe aus.
    »Möchten Sie sich setzen?«
    »Nein.«
    »Wie Sie wollen.«
    Er fuhr fort, die Briefe zu wiegen, darunter auch große braune Umschläge, und sah dann in einem kleinen Heftchen die Postgebühren für die verschiedenen Länder nach.
    »Macht Ihnen das Spaß?« fragte Maigret.
    »Ach wissen Sie, wenn ich nur in Paris sein kann...«
    Er hatte einen leichten, lustig klingenden Akzent, dehnte bestimmte Silben.
    »Woher sind Sie?«
    »Aus Morges am Genfersee. Kennen Sie es?«
    »Ich bin einmal vorbeigekommen.«
    »Hübsches Städtchen, nicht wahr?«
    Aus dem hübsch wurde hüüübsch, und das »nicht wahr« sang er geradezu.
    »Ja, es ist hübsch. Was halten Sie von diesem Haus?«
    Er interpretierte die Frage falsch, denn er antwortete:
    »Es ist groß.«
    »Wie verstehen Sie sich mit Monsieur Parendon?«
    »Ich sehe ihn nicht oft. Ich klebe hier die Marken auf, gehe zur Post, mache die Besorgungen, verschnüre die Pakete. Ich habe keine sehr wichtige Funktion. Von Zeit zu Zeit kommt der Chef herein, klopft mir auf die Schulter und fragt: >Geht es gut, junger Mann?< Die Dienstboten nennen mich den kleinen Schweizer, obwohl ich einen Meter achtzig groß bin.« »Verstehen Sie sich gut mit Mademoiselle Vague?«
    »Sie ist nett.«
    »Was halten Sie von ihr?«
    »Wissen Sie, sie gehört mehr auf die andere Seite, mehr auf die Seite des Chefs.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na, wie ich es sage. Die dort haben ihre Arbeit, und wir haben unsere. Wenn der Chef jemanden braucht, ruft er nicht mich, sondern sie.«
    In seinem Gesicht lag eine Spur von Naivität, aber der Kommissar war sich nicht sicher, ob diese Naivität nicht gespielt war.
    »Ich habe gehört, Sie wollen Theaterschriftsteller werden?«
    »Ich versuche, Stücke zu schreiben. Ich habe schon zwei geschrieben, aber sie sind schlecht. Ich als Waadtländer muss mich an Paris erst gewöhnen.«
    »Hilft Tortu Ihnen?«
    »Hilft mir wobei?«
    »Paris kennenzulernen. Indem er mit Ihnen ausgeht.«
    »Er ist noch nie mit mir ausgegangen. Er hat anderes zu tun.«
    »Was?«
    »Seine Verlobte, seine Freunde. Als ich an der Gare de Lyon angekommen bin, habe ich gleich kapiert: Hier lebt jeder für sich.«
    »Sehen Sie Madame Parendon oft?«
    »Ziemlich oft, hauptsächlich vormittags. Wenn sie vergessen hat, einen Lieferanten anzurufen, kommt sie zu mir und sagt:
    >Mein kleiner Baud, seien Sie so lieb und bestellen Sie mir eine Lammkeule. Bitten Sie darum, dass man sie sofort vorbeibringt. Und wenn in der Metzgerei niemand weg kann, springen Sie schnell rüber, ja?<
    Also gehe ich zum Metzger, zum Fischhändler, zum Krämer. Ich bringe ihre Schuhe zum Schuhmacher, wenn ein Absatz kaputt ist. Immer heißt es: >Mein kleiner Baud...< Das oder Briefmarken kleben...«
    »Was

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