Maigret zögert
wirst nichts essen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht lasse ich mir ein Sandwich kommen. Ich brauche ein bisschen Ruhe.«
Man spürte, dass der Junge sich am liebsten in die Arme seines Vaters gestürzt hätte, und es war nicht Maigrets Gegenwart, die ihn daran hinderte, sondern eine sicher seit jeher bestehende Distanz zwischen Parendon und seinem Sohn.
Weder der eine noch der andere neigte zu Gefühlsäußerungen oder Umarmungen, und Maigret konnte sich gut vorstellen, wie Gus, als er noch kleiner war, in das Arbeitszimmer seines Vaters kam und ihm stumm und reglos dasitzend beim Lesen oder bei der Arbeit zusah.
»Wenn Sie in mein Zimmer kommen wollen, folgen Sie mir bitte.«
Sie mussten durch den Salon gehen, und Maigret traf dort Lucas und Torrence, die auf ihn warteten. Sie fühlten sich unbehaglich in dem großen und luxuriösen Raum.
»Seid ihr fertig, Kinder?«
»Alles erledigt, Chef. Wollen Sie den Plan sehen und hören, wer wann wo war?«
»Jetzt nicht. Die Tatzeit?«
»Zwischen halb und dreiviertel zehn. Mit fast genauer Sicherheit um neun Uhr siebenunddreißig.«
Maigret deutete auf die weit geöffneten Fenster.
»Standen die heute früh auf?« fragte er.
»Seit Viertel nach acht.«
Hinter den Garagen konnte man viele Fenster sehen, die zu einem sechsstöckigen Gebäude in der Rue du Cirque gehörten. Es war die Rückfront des Hauses. In einer Küche sah man eine Frau mit einem Topf in der Hand umhergehen. Im dritten Stock wechselte eine andere Frau gerade die Windeln eines Babys.
»Geht erst mal einen Happen essen, ihr beide. Wo ist Janvier?«
»Er hat die Mutter ausfindig gemacht. In einem Dorf im Berry. Sie hat kein Telefon, und er hat jemand von dort beauftragt, sie zu einer Fernsprechzelle zu bringen. Er sitzt im hinteren Büro und wartet auf die Verbindung.«
»Er kann dann mit euch gehen. In der Rue de Miromesnil gibt es ein gar nicht übles Restaurant. Es heißt >Au Petit Chaudron<. Wenn ihr gegessen habt, nehmt ihr euch die verschiedenen Stockwerke der Gebäude in der Rue du Cirque vor, die ihr von hier aus seht. Es kann sein, dass man jemanden zwischen halb und dreiviertel zehn den Salon durchqueren sah. Man kann sicher auch in andere Zimmer sehen.«
»Wo treffen wir uns wieder?«
»Am Quai, sobald ihr fertig seid. Es sei denn, ihr entdeckt etwas Wichtiges... Ich werde vielleicht noch hier sein.«
Gus hörte interessiert zu. Das Unglück hielt ihn nicht davon ab, der Polizei auch jetzt noch mit einer etwas kindlichen Neugierde gegenüberzustehen.
»Zu Ihren Diensten, Gus.«
Sie folgten einem Flur, der schmaler war als der im linken Flügel, und kamen an einer Küche vorbei, hinter deren Glastür man eine dicke, schwarzgekleidete Frau hantieren sah.
»Es ist die zweite Tür.«
Es war ein großes Zimmer, dessen Atmosphäre sich völlig von der übrigen Wohnung unterschied. Zwar standen auch hier Stilmöbel - man wollte sie wahrscheinlich nicht unbenutzt lassen aber Gus hatte ihren Charakter verändert, indem er sie mit allen möglichen Gegenständen beladen und Regale und Bretter angebracht hatte.
Da waren vier Lautsprecher, zwei oder drei Plattenspieler, auf einem rohen Tisch ein Mikroskop, auf einem anderen Tisch Kupferdrähte, die in einem komplizierten Stromkreis zusammengeschlossen waren. Vor dem Fenster der einzige Sessel, über den nachlässig ein rotes Baumwolltuch geworfen war. Ein ebenfalls rotes Tuch bedeckte das Bett und verwandelte es in eine Art Couch.
»Sie haben ihn behalten?« fragte Maigret mit einem Wink auf einen großen Plüschbären in einem Regal.
»Warum sollte ich mich dafür schämen? Mein Vater schenkte ihn mir zu meinem ersten Geburtstag.«
Das Wort »Vater« kam ihm stolz, fast trotzig über die Lippen. Man spürte, dass er bereit war, ihn leidenschaftlich zu verteidigen.
»Mochten Sie Mademoiselle Vague gern, Gus?«
»Ich sagte Ihnen schon: Wir waren Freunde.«
Sicher war er geschmeichelt, dass ihn ein fünfundzwanzigjähriges Mädchen als Freund behandelte.
»Gingen Sie oft in ihr Büro?«
»Mindestens einmal am Tag.«
»Sie sind nie mit ihr ausgegangen?«
Der Junge sah ihn überrascht an. Maigret stopfte seine Pfeife.
»Um wohin zu gehen?«
»Ins Kino, zum Beispiel... Oder zum Tanzen...«
»Ich tanze nicht. Ich bin nie mit ihr ausgegangen.«
»Sie sind nie bei ihr gewesen?«
Jetzt bekam er wieder rote Ohren.
»Was versuchen Sie aus mir herauszubringen? Was für Hintergedanken haben Sie?«
»Sie wussten Bescheid über
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