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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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gemacht?«
    Sie sah ihn zögernd an. Das schien eine Gewohnheit im Haus zu sein. Jeder neigte dazu, sich seine Worte, bevor er sie aussprach, genau zu überlegen.
    »Ich habe mich im Spiegel betrachtet.«
    Sie sagte es provozierend. Auch das war typisch für die ganze Familie.
    »Warum?«
    »Sie wollen, dass ich offen spreche, nicht wahr? Nun gut! Ich werde es tun... Ich versuchte herauszufinden, wem ich mehr ähnlich sehe!«
    »Ihrem Vater oder Ihrer Mutter?«
    »Ja!«
    »Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?«
    Der Ausdruck ihres Gesichts wurde hart, und wütend schrie sie:
    »Meiner Mutter!«
    »Hassen Sie Ihre Mutter, Mademoiselle Parendon?«
    »Ich hasse sie nicht. Ich möchte ihr helfen. Ich habe es so oft versucht.«
    »Ihr helfen wobei?«
    »Glauben Sie, dass uns das weiterbringen wird?«
    »Wovon sprechen Sie?«
    »Von Ihren Fragen. Von meinen Antworten.«
    »Vielleicht könnte ich dadurch besser verstehen...«
    »Sie verbringen ein paar Stunden in einer Familie, gehen von einem zum anderen und behaupten dann, sie verstehen zu können? Glauben Sie nicht, dass ich Ihnen feindlich gesinnt bin. Ich weiß, dass Sie seit Montag durchs Haus streifen...«
    »Wissen Sie auch, wer mir die Briefe geschickt hat?«
    »Ja.«
    »Woher wissen Sie es?«
    »Ich habe ihn überrascht, als er die Briefbögen zurechtschnitt.«
    »Hat Gus Ihnen gesagt, wozu er sie brauchte?«
    »Nein. Ich habe es erst später, als man im Haus von den Briefen sprach, begriffen.«
    »Wer hat Ihnen davon erzählt?«
    »Ich weiß nicht mehr. Julien Baud vielleicht. Ich mag ihn sehr. Er macht zwar den Eindruck eines Luftikus, aber er ist ein prima Junge.«
    »Eines lässt mir keine Ruhe: Sie waren es, nicht wahr, die die Beinamen Bambi und Gus erfunden hat?«
    Mit einem kleinen Lächeln entgegnete sie:
    »Wundert Sie das?«
    »Aus Protest?«
    »Sie haben richtig geraten. Aus Protest gegen diese große feierliche Bude, gegen unsere Lebensweise, gegen die Leute, die bei uns verkehren. Ich wäre lieber in einer ärmeren Familie geboren, wo ich hätte kämpfen müssen, um mir meinen Weg ins Leben zu bahnen.«
    »Sie kämpfen auf Ihre Art.«
    »Die Archäologie, wissen Sie... Ich wollte keinen Beruf, wo ich irgendjemandes Platz eingenommen hätte.«
    »Es ist hauptsächlich Ihre Mutter, über die Sie sich aufregen, nicht wahr?«
    »Ich würde viel lieber nicht über sie sprechen.«
    »Leider spielt gerade sie im Augenblick eine wichtige Rolle, oder?«
    »Vielleicht, ich weiß nicht.«
    Sie beobachtete ihn heimlich.
    »Sie halten Sie für schuldig«, beharrte Maigret.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Als ich vor der Tür des Boudoirs stand, hörte ich Sie zornig reden.«
    »Das bedeutet nicht, dass ich sie für schuldig halte. Mir gefällt die Art nicht, wie sie sich benimmt. Mir gefällt das Leben nicht, das sie führt und zu dem sie uns zwingt. Ebensowenig gefällt mir...«
    Sie hatte sich weniger in der Gewalt als ihr Bruder, obwohl sie nach außen hin ruhiger schien.
    »Sie werfen ihr vor, Ihren Vater nicht glücklich zu machen?«
    »Man kann Menschen nicht gegen ihren Willen glücklich machen. Will man sie allerdings unglücklich machen...«
    »Mochten Sie Mademoiselle Vague ebenso gern, wie Sie Julien Baud mögen?«
    Ohne eine Sekunde zu zögern, antwortete sie:
    »Nein!«
    »Warum?«
    »Weil sie eine kleine Intrigantin war, die meinem Vater vormachte, ihn zu lieben.«
    »Hörten Sie die beiden von Liebe sprechen?«
    »Natürlich nicht! Wenn ich da war, ließ sie das Süßholzraspeln sein. Es genügte, sie zu sehen, wenn sie bei ihm war. Ich weiß sehr wohl, was sich da hinter der geschlossenen Tür abgespielt hat.«
    »Haben Sie moralische Gründe dafür...«
    »Ich pfeife auf die Moral! Und außerdem, welche Moral? Die Moral welchen Milieus? Glauben Sie, dass die Moral in diesem Stadtviertel dieselbe ist wie die in einer kleinen Provinzstadt oder die im 20. Arrondissement?«
    »Ihrer Ansicht nach litt Ihr Vater durch sie?«
    »Sie war vielleicht schuld daran, dass er sich noch mehr isoliert hat.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass sie ihn Ihnen entfremdet hat?«
    »Das sind Fragen, über die ich nicht nachgedacht habe, über die niemand nachdenkt. Sehen wir es so: Wenn sie nicht gewesen wäre, hätten vielleicht Chancen bestanden...« »Chancen wofür? Für eine Versöhnung?«
    »Da gab‘s nichts zu versöhnen. Meine Eltern haben sich nie geliebt, und ich glaube auch nicht mehr an die Liebe. Dennoch gibt es eine Möglichkeit, in Frieden zu leben,

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