Mailverkehr für Fortgeschrittene
fünfzehnten Lebensjahr Bescheid. Ich weiß es seit ein paar Wochen. Spätentwickler …
Marc benutzte das Wort »pervers« mit großer Begeisterung.
»Ich bin pervers seit meinem fünfzehnten Lebensjahr!«, verkündete er.
Gute Idee. Wir nahmen der »Bild-Zeitung« und Konsorten einfach das Schmuddelwort weg und drehten es um. Füllten es mit positiver Bedeutung. Aber als ich dran war, brachte ich es trotzdem nicht über die Lippen. Sprach stattdessen von meinen »Neigungen«. Die Neigung, durch Schmerz Lust zu empfinden. Und über das Problem, dass ich mich damit immer noch irgendwie unnormal fühlte. Schmutzig.
Marcs Augen glänzten. Er holte zu einem Rundumschlag aus, der mit griechischen Vasen begann, über das Kamasutra hinweg streifte und einen kurzen Ausblick auf Wandmalereien in Pompeji warf. Kurzum: SM sei so alt wie die Menschheit selbst, wurde und wird immer noch gerne praktiziert und wäre keinesfalls verwerflich. Immer vorausgesetzt, dass es zwei Menschen (oder mehr) einvernehmlich, sicher und nicht gesundheitsgefährdend praktizieren würden.
Ich nippte an meinem Rotwein und betrachtete den Mann, der mir gegenübersaß. Er war dreißig Jahre alt und hieß Leon. Wollte gern ein Dom sein, trug schwarze Klamotten, einen langen Mantel und besaß ein interessantes, sehr kantiges Gesicht. Allerdings: Die Haltung fehlte ihm noch. Die Coolness. Er hatte unsichere Augen und spielte viel zu häufig mit den Messingringen an seiner Hand. Seine Hände jedoch, die hatten es mir angetan. Sauber, gepflegt, kräftig. Ich mag es, wenn der Handrücken von einem feinen Adergeflecht überzogen ist. Stellte mir vor, wie es wäre, seine Hände auf meiner Haut zu spüren.
Marc gab unterdessen praktische Tipps, wie man sich bei einem Clubbesuch zu verhalten hatte: »Nie, niemals einen gefesselten Menschen anfassen. Ganz egal, ob er da nun steht, nackt ist und hilflos, und es zu mögen scheint. Ihr würdet es auch nicht wollen.«
Wir sollten uns auch nicht einmischen, wenn zwei miteinander spielten. Es sei denn, wir würden dazu aufgefordert. Im Grunde genommen galten im Club dieselben Regeln der Höflichkeit wie überall anders auch. Freundlich sein und höflich fragen. Marc schaffte es, das alles ganz normal klingen zu lassen. Und je länger ich ihm zuhörte, desto mehr Erleichterung spürte ich. Ich war nicht allein. Es gab viele Menschen da draußen, die an dieser Sorte Spiel gefallen fanden. Manche taten es im stillen Kämmerlein, manche gerne in einem Club. Aber nichts davon war irgendwie unmoralisch oder merkwürdig. Oder gar krank.
Marc machte sich außerdem auf erfrischende Art und Weise über diejenigen in der Szene lustig, die gerne Regeln aufstellten. Solche, die zum Beispiel behaupteten, man sei nur ein »echter« SM-ler, wenn man die entsprechenden (schweineteuren) Klamotten tragen (Leder, Lack und Latex, vorzugsweise schwarz) und ihren Verhaltenskodex beachten würde. Das ginge mit den Doms los, die unbedingte als »Lord« oder »Herr« angeredet werden wollten, denen, die einen Sklaven rund um die Uhr quälen wollten (das sogenannte 24/7) und so weiter …
»Jeder, der Dir sagt, Du bist kein ›echter‹ SM-ler, nur weil Du nicht das und das tust, den kannst Du getrost auslachen«, sagte Marc und lachte herzhaft. »So etwas wie die reine Lehre gibt es bei SM nicht. Erlaubt ist, was gefällt und was Dir Spaß macht.«
Er warnte vor allem die Damen. Erzählte die Geschichte einer Frau, die sich mit einem Dom, den sie über eine Anzeige kennengelernt hatte, im Café traf. Nach einem kurzen Gespräch verlangte dieser dann von ihr, sie solle zur Toilette gehen, ihren Slip ausziehen, zurückkommen und diesen auf den Tisch legen. Sozusagen als Beweis ihrer Unterwürfigkeit.
Marc krümmte sich vor Lachen, wir stimmten ein.
Schließlich gab er noch die Geschichte von der Frau zum Besten, die wissen wollte, zu welchem Zeitpunkt sie ihre Kreditkarte abgeben solle. Gleich beim ersten Mal, beim zweiten oder beim dritten Mal?
»Leider treiben sich eine Menge Männer am Rande der Szene herum, die Frauen ausnutzen. Wenn euch so etwas passiert, lasst den Typen sitzen.«
Vielleicht wären wir noch unsicher, was SM tatsächlich sei. Aber das wäre es auf alle Fälle nicht.
Marc machte uns Mut. Sogar ein Sklave hätte das Recht, nein zu sagen. Wenn der Top, das heißt der dominante Part, etwas verlangen würde, was dem Bottom (dem devoten Part) nicht gefiele, dann müsse der durchaus nicht
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