Mailverkehr für Fortgeschrittene
Challenger-Crew? Antwort: Wir lassen jetzt mal die Frau ans Steuer!« So hörten sich die schwereren Geschütze an, die Helena mit der Puderquaste zittern ließen. Vor Wut.
Manche Menschen wittern es, wenn ihr Gegenüber unsicher ist, wittern wie Raubtiere den Angstschweiß ihrer Beute. So ein Mensch war Mark Taylor. Und Helena, die so schnell rot wurde, sein bevorzugtes Opfer.
Sie hatte seine Frotzeleien hingenommen. Denn er war leicht aufbrausend, und sie brauchte den Job. Dringend. Wenn der Star eine andere Maskenbildnerin wünschte, dann würde er sie bekommen. Helena wäre wieder arbeitslos.
Und da war noch etwas anderes. Etwas, das Helena sich kaum selbst einzugestehen wagte. Mark Taylor war ein attraktiver Mann. Nicht unbedingt im herkömmlichen Sinne, auch wenn er schlank war, gut gebaut und beim Lächeln diese wunderbaren Grübchen in den Wangen hatte. Es war vor allem seine selbstbewusste, leicht ironische Art, die sie anzog und zugleich verunsicherte. War er wirklich der tumbe Macho, für den er sich ausgab? Oder versteckte sich hinter der Fassade vom starken Kerl etwas ganz anderes? Manchmal, wenn er sie ansah, dann hatte er so ein Zwinkern in den Augen …
Doch dann schleppte er wieder eine kichernde Jungschauspielerin ab, riss hinterher dumme Witze, und Helena wusste immer noch nicht, woran sie war.
Zähne zusammenbeißen und durch. Wenn sie diesen Job gut machte, würde er ihr Referenzen und weitere Engagements bringen, da war sie sich ganz sicher. Und von irgendetwas musste ein Mädchen ja schließlich leben.
Helena war allein. Zu schüchtern, um in Clubs oder gar Kneipen jemanden anzusprechen. Zu ängstlich, um sich in die Single-Foren des Internets zu wagen. Schließlich wusste man nie, wer da am anderen Ende vor seinem PC saß und sich für jemand anderen ausgab. Helena konnte sich ohnehin nicht vorstellen, wer um alles in der Welt sich für sie interessieren sollte. Denn, mal ganz ehrlich: Sie, Helena, war tatsächlich nur ein »Pudermäuschen«. Klein, verhuscht, blass, mit einem Schopf wilder Locken und viel zu großen, meist ängstlich dreinblickenden blauen Augen.
Außer dann und wann … heute zum Beispiel.
»Ein erfolgreicher Mann ist ein Mann, der mehr verdient, als seine Frau ausgeben kann. Eine erfolgreiche Frau ist eine, die so einen Mann findet«, hatte Mark Taylor verkündet, und sich zweimal neu schminken lassen, weil er mit seinen Augen nicht zufrieden war.
Heute hatte sich Helena wirklich eine kleine Auszeit verdient. Und deshalb lehnte sie ab, als der Regieassistent sie in die Kneipe einlud. »Danke, wirklich nicht«, sagte sie. »Ich bin ziemlich müde, muss heute mal früher ins Bett.«
»Na gut«, gab Niko klein bei. »Vielleicht morgen.« Dann war er mit den anderen abgezogen.
Und Helena hatte gelauscht, bis ihre Schritte draußen in der Maschinenhalle verklungen waren.
Endlich allein.
Sie hatte das Chaos schnell und effizient beseitigt, die Make-up-Box aufgefüllt und die drei improvisierten Schminkplätze abgewischt. Dann setzte sie sich vor den mittleren Spiegel und öffnete andächtig ihre Schminktasche.
In der Kneipe, mit den anderen, wäre sie doch nur wieder die Alte gewesen. Ruhig, schüchtern. Eine gute Zuhörerin, die keinen Alkohol vertrug. Nach dem ersten Glas Wein wurde sie albern, nach dem zweiten fiel sie um und schlief ein.
Doch hier und jetzt konnte sie alles sein. Anders. Wild, unberechenbar. Schön.
Ab und zu musste sie sich verwandeln. Eine Maske anlegen aus Lidschatten, Lippenstift und Wimperntusche. Das für sich selbst tun, was sie sonst so gekonnt für andere tat: sich in eine umwerfende Erscheinung verwandeln.
Helena mattierte, puderte, trug Eyeliner auf und Lippenstift.
Die schöne Helena, deren gutes Aussehen einen Krieg heraufbeschworen hatte. Was sich ihre Mutter nur gedacht hatte, als sie ihr diesen Namen gab, ihrer kleinen, spitzmausigen Tochter. Fast so schlimm wie eine pummelige blonde Carmen. Lena passte viel besser zu ihr. Nur manchmal, da malte sie sich ein Gesicht, das ihrem Namen gerecht wurde.
Helena sah zufrieden in den Spiegel und warf ihrem Abbild eine Kusshand zu.
Dann drehte sie sich um und durchsuchte die Kleider auf dem Garderobenständer in der Ecke. Für die Marquis de Sade-Aufführung hatte man Kostüme aus Leder, Lack und Latex fertigen lassen. Sündige, verruchte Kleider, die aus ihrer Trägerin eine sexy Marquise machten oder eine strenge Domina. Dazu Masken wie für den venezianischen Karneval, von
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