Mainfall
in drei bis vier Stockwerken übereinander angeordnet waren, um Platz zu sparen. Einige Gräber waren noch verschlossen, die meisten hingegen geöffnet und leer. Gina schlenderte Hand in Hand mit mir durch die engen Gänge. Wir hatten es nicht eilig, sondern hielten uns am Ende der Gruppe auf. Ich hatte sogar das Gefühl, dass Gina sich am liebsten völlig von der Gruppe abgesetzt hätte, um mit mir in den Katakomben allein zu sein.
Nach einiger Zeit waren wir tatsächlich ganz am Ende der Gruppe. Vor uns war der dicke, ältere Herr, der inzwischen außer Atem war und seine lustigen Sprüche eingestellt hatte. Die Gänge waren mittlerweile so schmal, dass man nur noch hintereinander gehen konnte. Auch waren wir über eine Treppe eine Etage tiefer in die Grabanlagen gestiegen und befanden uns nach Angaben des Führers etwa 30 Meter unter der Erdoberfläche. Die Luft war stickig und geschwängert von Schweiß und sämtlichen Parfums der Reisegruppe. Die wenigen elektrischen Lampen entlang der Gänge brachten nicht mehr als ein düsteres Dämmerlicht zustande. Gina befand sich direkt vor mir. Irgendwann blieb sie stehen und ließ den älteren Herrn noch ein Stück vorausgehen.
»Was machst du denn?«, fragte ich besorgt. »Wir dürfen nicht den Anschluss verlieren.«
Sie sagte darauf nichts, drehte sich nur um, legte ihre Arme um mich und im nächsten Augenblick spürte ich ihre Lippen auf den meinen.
»Gina, nicht«, wehrte ich mich. »Wir finden hier nicht mehr raus.«
Aber das schien sie nicht zu kümmern.
»Na und?«, sagte sie nur und küsste mich mit aller Leidenschaft der Welt – oder besser würde man wohl sagen, der Unterwelt.
»Ich könnte hier unten ewig mit dir bleiben«, seufzte sie. Sie war wie von Sinnen, drängte sich an mich und wollte mehr, als ich ihr zu geben bereit war.
»Bitte, Gina, lass uns weitergehen«, versuchte ich sie zur Vernunft zu bringen.
Ich fürchtete mich. 30 Meter unter der Erde in diesen düsteren Gängen, weit hinter der Gruppe zurück, deren Gespräche man nur noch in der Ferne als undeutliches Gemurmel hörte. Hatte sie das gemeint, als sie sagte, es würde mir hier bestimmt gefallen? War sie jetzt total verrückt geworden? Wollte sie mich tatsächlich hier zwischen all den Toten lieben?
»Gina, bitte, lass uns der Gruppe folgen.« Ich wurde energischer und schob von hinten, damit sie vorwärtsging.
»Lieber würde ich ewig mit dir hier unten bleiben, als bei Francesco am Tageslicht zu sein«, flüsterte sie und begann wieder, mich so heftig zu küssen, dass mir fast die Luft wegblieb.
»Das geht doch nicht«, stammelte ich. »Gina, bitte«, wehrte ich mich. »Wir können doch nicht hier …«
»Warum nicht?«, hauchte sie mir entgegen.
Die Stimmen der Gruppe waren inzwischen völlig verstummt. Totenstill war es. Nur das Atmen von Gina war zu hören. Sie atmete schneller und ich begann zu begreifen, dass ich keine Chance hatte, ihr zu entkommen. Langsam knöpfte sie ihre Bluse auf. Sie trug keinen BH darunter. Dann öffnete sie ihre Jeans. Sie sah schön aus im düsteren Licht der Katakomben.
»Komm jetzt«, sagte sie ganz ruhig.
Wir waren allein und doch umgeben von Tausenden von Toten. Es war mir, als ob sie in den zugemauerten Nischen ihre Totenschädel an die Wände drängten, um uns besser hören zu können. Es war mir, als ob sie lüstern lauschten, nachdem endlich Abwechslung in ihre düsteren Gänge kam. Ich sah unsere Schatten an den Wänden des Ganges, sah das Gesicht von Gina und hörte unseren Atem, der langsam heftiger wurde.
Die Toten schwiegen, wie sie schon 1.000 Jahre geschwiegen hatten. Auch wenn sie lauschten, waren sie diskret. Sie würden ihr Geheimnis für sich behalten. Sie konnten schweigen, dafür waren sie bekannt. Höchstens würden sie mit ihren knöchernen Fingern einen Strich in die feuchte Wand ihrer Grabkammer ritzen als Erinnerung an ein schönes Erlebnis, das wir ihnen geboten hatten. Plötzlich ging das Licht aus. Gina merkte es nicht einmal. Vielleicht dachte sie, dass das dazugehörte. Vielleicht wollte sie im Dunkeln geliebt werden. Und mir war es jetzt auch egal. Darauf kam es nun nicht mehr an. Wenn die Toten das Licht ausschalten wollten, bitte. Vielleicht konnten sie besser sehen, wenn es dunkel war? Bestimmt fühlten sie sich wohler in ihrer gewohnten Dunkelheit.
»Nie habe ich dich mehr geliebt als heute«, flüsterte Gina anschließend.
Wir zogen uns im Dunkeln wieder an und tappten langsam vorwärts, immer mit den
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