Mainfall
fuhren an der Strandpromenade entlang. Viele der Restaurants hatten noch geschlossen. Je näher wir aber zum Hauptabschnitt der Promenade kamen, desto mehr erwachte sie zum Leben.
»Irgendwie kenne ich den Strand und irgendwie auch nicht«, antwortete ich.
Gina legte ihre linke Hand auf meinen Oberschenkel. »Das kommt wieder in Ordnung«, sagte sie.
Ich spürte, wie sie ihre Finger hin und her bewegte, sah das Meer, den Strand, die Sonne, roch wieder ihr Parfum, welches das ganze Taxi erfüllte, und ließ einfach geschehen, was mit mir passierte. Irgendwann bog das Taxi in eine schmale Seitenstraße ab und hielt gleich an der Ecke.
»Wir sind da«, sagte Gina, bezahlte und wir stiegen aus. Alle Rollläden des Eckhauses, das Blick zum Meer hatte, waren geschlossen. Es wirkte in der Nebensaison ausgestorben und verlassen, so wie die meisten Häuser, die mir im Vorbeifahren aufgefallen waren.
»Die wohlhabenden Römer ziehen im Sommer, wenn es heiß wird, ans Meer. Jetzt sind die meisten noch in der Stadt«, erklärte mir Gina, während sie die Haustür aufschloss.
Ich versuchte, mich an das Treppenhaus zu erinnern, an das Bild, welches im Wohnzimmer hing, an die Kommode, die dort stand, die Couch, die Stehlampe in der Ecke – aber es kam mir alles erwartungsgemäß fremd vor. Gina zog die Rollläden hoch und riss alle Fenster auf.
»Wenn einige Zeit niemand hier war, muss man erst mal kräftig lüften«, sagte sie und trat zu mir auf den Balkon, von dem man direkt aufs Meer sah.
Mein Blick wanderte über den Strand, zuerst nach links, dann nach rechts, so weit man sehen konnte. Eine leichte Brise wehte vom Meer. Ich sog die Seeluft ein, die im Frühjahr erfrischend war, ließ den Blick bis zum Horizont wandern, wo ein Schiff als winziger Punkt seine Bahn zog, und fühlte, dass das Meer die Heimat meiner Seele war. Wie ich hieß, wusste ich nicht, wo ich herkam, wusste ich nicht, aber ich liebte das Meer, das war klar. Und ich liebte Gina, die mich zurück ins Schlafzimmer zog, die sich nahm, wonach sie sich so gesehnt hatte, bei offenem Fenster, in dieser sanften Frühlingsluft von Ostia.
»Und, erinnerst du dich?«, fragte sie hinterher.
»Es war noch schöner als sonst«, antwortete ich leise, obwohl es für mich kein Sonst und kein Früher gab.
Sie kuschelte neben mir, völlig nackt und schön wie Eva aus dem Paradies. Ihre Nägel leuchteten rot, sie duftete wunderbar und lag jetzt wie ein aufgeklapptes Buch bei mir, in dem man gerade ein spannendes Kapitel gelesen hat.
Eine Zeit lang sagten wir nichts. Ich genoss einfach die Ruhe, den Frieden in diesem kleinen Zimmer, in dem ich das Meer spürte, dessen Aroma mit einem leichten Windhauch durchs Fenster kam und über unsere Körper strich.
»Ich bin so froh, dass du hier bist«, sagte sie irgendwann. »Ohne dich war ich schrecklich einsam.«
Ich fragte mich zwar, wie man verheiratet und zugleich einsam sein konnte, aber ich sagte dazu nichts. Das war auch besser so, denn sie erzählte mir bald ganz von allein, dass Francesco nur mit seinem Geschäft verheiratet sei, dass er außerdem eine Freundin habe, zehn Jahre jünger als Gina, und dass sie nur wegen der Kinder noch bei ihm bliebe.
Nun gut, dachte ich, wenn das nicht genügend Entschuldigungen für mich waren. Durfte man eine reife Frucht, die einsam und verlassen auf der Straße lag, nicht aufheben und genießen?
Etwas dumm hatte ich mich angestellt, alles war so neu für mich gewesen, aber sie hatte das ganz toll gefunden, so unschuldig geliebt zu werden, von einer reinen Seele, die sich an nichts erinnern konnte.
Für kurze Zeit dachte ich sogar, dass der Main mir ein Geschenk gemacht hatte. War es nicht wunderbar, keine Vergangenheit zu haben? Unschuldig war ich, unbeschrieben wie ein weißes Blatt, auf dem jetzt allerdings mein erster Fehltritt eingetragen wurde.
Gut, nicht ich hatte Francesco betrogen, sondern Gina. Nicht ich war mit ihm verheiratet, sondern sie. Aber ich hatte mitgemacht, es war mir egal gewesen, dass sie verheiratet war, ich war ihrer Schönheit und ihrer Liebe verfallen, dieser betörenden Seeluft, die mir immer noch die Sinne raubte. Zum ersten Mal beschlich mich das Gefühl, dass es besser wäre, nicht mehr über meine Vergangenheit zu erfahren, diese Vergangenheit, in der ich offensichtlich verschiedene Frauen geliebt hatte, die voneinander nichts wussten.
»Wo haben wir uns eigentlich kennengelernt?«, fragte ich Gina.
Sie sah mich überrascht an, schien dann
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