Mainfall
Katakomben hinein. Die Schritte kamen näher, sie gingen schnell, hatten wahrscheinlich Licht, während ich mich in der Dunkelheit durch die Gänge tasten musste. Ich versuchte zu rennen, stieß mir Stirn und Gesicht blutig, hastete weiter, immer voran, weg von den Verfolgern. Lieber wollte ich in die Tiefe, als wieder entführt werden, lieber ins Ungewisse als in Gefangenschaft. Ich atmete heftig, war total verschwitzt, schmutzig, blutig an Händen und Kopf. So langsam verließen mich meine Kräfte. Lange würde ich dieses Fliehen nicht mehr durchhalten, müsste mich wieder verstecken, in eine der Grabnischen schlüpfen, mich ganz kleinmachen, die Luft anhalten, warten, bis sie vorbei wären, warten bis zum nächsten Tag, warten bis zur nächsten Reisegruppe, unter die ich mich mischen könnte, bei der ich in den Bus einsteigen würde, fahren, wohin sie wollten, nur weg hier, weg von den Katakomben, weg aus Rom, weg aus Italien, zurück nach Aschaffenburg, zurück zu Rotfux, dem ich mich anvertrauen würde.
Ich hörte die Schritte knapp hinter mir, konnte nicht mehr, schlüpfte in eine Grabnische und wartete. Vielleicht würden sie ja an mir vorbeigehen, dann könnte ich sie überlisten, würde warten, bis sie weit genug voran waren, würde zurückrennen, hinauf ans Tageslicht, zurück zum Eingang und schnell weg.
Fast waren die Schritte bei mir. Ich versuchte zu erkennen, ob es mehrere Personen waren, aber es gelang mir nicht. Die Schritte gingen langsam, schlurfend, so als ob meine Verfolger etwas suchten, so als ob sie in alle Grabnischen leuchteten. Gleich haben sie dich, dachte ich. Ich hielt den Atem an, war mucksmäuschenstill, schloss die Augen, so wie ich als Kind unter dem Küchentisch die Augen geschlossen hatte, weil ich dachte, dass Mutter mich dann nicht sehen würde, aber es half alles nichts.
Eine Hand rüttelte an meiner Schulter. Es ist alles aus, dachte ich. Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen, versuchte vor der Wirklichkeit zu fliehen, machte mich in meiner Nische noch kleiner, wäre am liebsten zu einem winzigen Käfer geworden, der sich in einem Spalt in der Grabnische verkriechen konnte, aber die Hand rüttelte unbarmherzig an mir.
»Sind Sie denn verrückt geworden?«, vernahm ich eine Stimme, die mir bekannt vorkam. »Ganz allein in den Katakomben, und auch noch in den Gängen, die für Besucher gar nicht geöffnet sind.«
Die Stimme klang sehr vorwurfsvoll, ärgerlich, etwas müde und enttäuscht. Ich öffnete die Augen und sah den dickbäuchigen Pater vor mir, der uns schon vor der Mittagspause aus den Katakomben gelotst hatte.
»Ich werde verfolgt«, flüsterte ich. »Drei Männer, sie verfolgen mich.«
»Blödsinn«, schimpfte der Pater. »Es ist immer noch Mittagspause und niemand in der Katakombe. Kommen Sie. Oben muss ich das der Polizei melden.«
Ich wunderte mich einmal mehr, dass er gut Deutsch sprach, aber vielleicht war er mehrsprachig, um die vielen Touristen betreuen zu können.
»Nein, bitte, keine Polizei. Ich habe schon genügend Ärger«, bettelte ich.
Ich hing förmlich an der Kutte des Paters, ging dicht hinter ihm, erzählte ihm meine Geschichte, verriet ihm, dass ich nicht einmal meinen Namen kannte und danach auf der Suche war. Als ich das sagte, blieb er stehen, hob seine Lampe hoch, leuchtete mir ins Gesicht, als ob er prüfen wollte, ob ich ehrlich war.
»Na gut. Ich lasse Sie laufen, vorausgesetzt, Sie kommen nie mehr hier her.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Vorsichtig schlich ich aus den Grabkammern und sah mich nach allen Seiten um, konnte jedoch weder meine Verfolger noch Gina entdecken. Lediglich die karierte Leinendecke lag auf dem Tisch und der Picknickkorb stand auf der Bank. Alles sah danach aus, dass auch Gina hastig geflohen war oder sie womöglich verschleppt wurde. Der rote Ferrari war verschwunden und der Park völlig leer. Auf der Toilette bemerkte ich, wie schrecklich ich aussah: blutige Schrammen im Gesicht, aufgescheuerte Stellen an den Händen, das Hemd und die Hose verschmutzt und die Schuhe staubig von den Gängen der Katakombe. Notdürftig reinigte ich mich und verließ fluchtartig das Gelände. Sofort fuhr ich mit einem Taxi zum Flughafen. Nur weg aus Rom, nur weg von hier, dachte ich. Mein Gepäck ließ ich in Ginas Ferienwohnung zurück. Viel war es nicht und ich wollte in dieser Stadt kein Risiko mehr eingehen. Die Nacht verbrachte ich am Flughafen, immer wieder den Standort wechselnd und stundenweise auf Ruhesesseln
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