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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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Teleobjektiv.
    »Gina, sieh da, wir werden fotografiert«, deutete ich in die Richtung der Palme.
    Sie schien das alles nicht ernst zu nehmen.
    »Nun beruhige dich doch, mein Liebling. Du bist in Rom, weit weg von deinen Problemen. Bleib am besten bei mir, dann wird alles wieder gut.«
    Der Kopf mit dem Fotoapparat war verschwunden und ich begann mich zu fragen, ob ich das wirklich nur träumte. Aber ich hatte Angst. Ich musste an die Entführung und an die großbrüstige Lilly denken, sah mich in diesem Holzhaus auf dem kalten Kellerboden liegen, in dem sie mich eingesperrt hatten, dachte an den Kranz auf Ulrichs Grab und diese schreckliche Drohung: ›Wir kriegen dich!‹
    »Gina, ich fühle mich unwohl, wir sollten lieber gehen«, sagte ich.
    »Liebling, wir haben nur noch wenig Zeit, bis ich wieder zu Francesco muss. Nun verdirb nicht alles. Lass uns die restlichen Stunden genießen.«
    Sie streckte sich zu mir und küsste mich, aber im selben Augenblick sah ich ganz deutlich: Da war wieder dieser Fotoapparat neben der Palme und bei den Toiletten tauchte ein zweiter Kerl auf, in Jeans und Lederjacke.
    »Gina, sie sind zu zweit. Ich habe es genau gesehen«, riss ich mich von ihr los.
    Sie starrte mich nur verständnislos an, schaute in alle Richtungen, konnte niemanden entdecken und sagte dann: »Armer kleiner Liebling, wir sind doch hier ganz allein. Ich weiß nicht, was du hast … Ach, wärst du doch der König von Rom«, flüsterte sie und küsste mich. »Oder der König der Katakomben. Mein König bist du sowieso.«
    Als sie das sagte, lächelte sie liebevoll. Ich begann an mir zu zweifeln, musste daran denken, dass auch Melanie sich verfolgt fühlte, dass auch sie von zwei Ganoven gesprochen hatte, die hinter ihr her waren. Weiterhin sah ich diese beiden dunkelhaarigen Männer, mal allein, mal zu zweit, mal an den Toiletten, mal hinter den Palmen. Aber Gina beruhigte mich jedes Mal wieder und so langsam begann ich zu glauben, dass ich mir die beiden nur einbildete.
    Auf einmal raste mit quietschenden Reifen ein feuerroter Ferrari auf den Busparkplatz vor der Katakombe, bremste, verschwand in einer riesigen Staubwolke, ein dunkelhaariger Kerl stürzte heraus, schrie etwas und kam auf uns zu.
    »Du musst verschwinden!«, kreischte Gina. »Hau schnell ab, ich komme schon klar.«
    Sie sprang auf und eilte den Hang hinauf, der sich seitlich vom Busparkplatz bis zum Hügel mit den Toiletten ausdehnte.
    Ich rannte ebenfalls los. Nur wohin? Vom Eingang kam der Kerl aus dem Ferrari gerannt, von den Toiletten der mit der Lederjacke, von den Palmen der mit dem Fotoapparat. In die Katakomben, schoss mir ein Gedanke durchs Hirn. Das war meine letzte Chance!
    Ich rannte nur noch, sah mich nicht um, stürzte in den Vorraum zu den Katakomben, das Mädchen an der Kasse sah mich entsetzt an, ihr Mund stand offen, als ob sie schreien wollte, aber sie schrie nicht, ich rannte weiter, die Treppen zu den Katakomben hinunter, hinein in die dunklen Gänge, die jetzt nicht beleuchtet waren, die mich empfingen wie dunkle Höhlen, die ihre Arme ausbreiteten, die mich retten wollten, die sich aber auch wehrten, mit Ecken und Kanten an mich stießen, wenn ich nicht achtgab. Ich lief schnell, immer weiter, immer tiefer in die Katakomben hinein. Irgendwann hielt ich inne und lauschte. Kamen sie näher? Würden sie mich gleich erwischen, mich vielleicht töten und einfach hier entsorgen, hier unten, bei meinen Freunden, den Toten, die schon lange in ihren Grabnischen ruhten? Aber ich hörte nichts. Nur meinen Atem, der heftig ging, und mein Herz, das schlug wie eine Trommel, die die Toten benachrichtigen wollte über den Neuankömmling, der sich in ihr Reich gewagt hatte. Ich kauerte mich in eine der Grabnischen und wartete ganz still. Ich war gefangen. Wenn sie nun kämen, könnte ich nur noch tiefer in die Katakomben fliehen, so tief, dass sie mich nie mehr finden würden, so tief, dass ich unter meinesgleichen wäre, unter meinen Brüdern, den Toten, die mir zu Freunden würden, mir, dem Namenlosen, der in der Unterwelt saß, gepeinigt von Angst vor seinen Verfolgern. So kauerte ich in meiner Nische im Staub der Jahrtausende, dachte an Gina, dachte an Melanie, dachte an Isabell, dachte an den Kommissar, der wohl recht gehabt hatte mit seinen Warnungen, die ich in den Wind geschlagen hatte, wofür ich grausam bestraft wurde.
    Irgendwann hörte ich Schritte. Mein Gott, was nun? Ich kroch vorsichtig aus meiner Nische und ging weiter in die

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