Mainfall
rausgefunden hatte. Am liebsten hätte ich ihr gar keine Auskunft gegeben oder sie angelogen, was sie aber bemerkt hätte. Andererseits verstand ich, dass sie alles über mich wissen wollte und sich wünschte, mit mir zusammen zu sein.
»Vielleicht sollte ich nach Venedig reisen, um meinem Geheimnis auf die Spur zu kommen«, dachte ich laut nach. »Vielleicht kommt dort meine Erinnerung wieder zurück …«
»Ja, super, in den Schulferien, wenn die Kinder mitkönnen, wäre es doch toll, Venedig zu besuchen!«, freute sich Isabell.
Sie hatte den Vorschlag wie selbstverständlich auf sich und ihre Kinder bezogen und dachte gar nicht daran, dass ich eventuell hätte allein fahren wollen. Ich erwiderte nichts, denn ich wollte sie nicht schon wieder vor den Kopf stoßen. Doch vorstellen konnte ich es mir nicht, mit einer Familie im Schlepptau durch Venedig zu ziehen. Schließlich ging es darum, etwas über mich und meine Vergangenheit herauszufinden – und das konnte ich sicher am besten allein oder mit Natalie, die wenigstens mit mir in Venedig gewesen war.
Allmählich hatte ich das Gefühl, dass sich die Schlinge um meinen Hals enger zuzog. Isabell hatte es sich angewöhnt, mich am Sonntag zu meinen Audienzen zu begleiten. Sie saß in der ersten Reihe und lauschte meinen Geschichten. Ich fühlte mich beobachtet und eingeengt. So kam es, wie es kommen musste: Bei meiner Nachmittags-Audienz am dritten Sonntag im Juni saß Isabell wie üblich in der ersten Reihe und drei Plätze weiter entdeckte ich gleich zu Beginn Melanie in ihrem Jeans-Kostüm.
Mir rutschte vor Schreck das Herz in die Hose und ich verhaspelte mich beim Erzählen.
»Der König ging in den Keller, um sich dort ein Ei kochen zu lassen«, sagte ich, »äh … in die Schlossküche ging er natürlich, um sich ein Ei kochen zu lassen.«
Die Kinder grölten. Sie freuten sich über meinen Versprecher und warteten auf den nächsten, der prompt folgte. Ich war mit meinen Gedanken bei Isabell und Melanie und sagte: »Der König küsste Melanie, sodass ihm der Koch eine Ohrfeige gab.«
Erneutes Gelächter der Kinder folgte. Sie waren vor Begeisterung nicht mehr zu halten. Minutenlang tobte der Beifall, bis ich endlich sagen konnte: »Der Koch küsste natürlich die Prinzessin, sodass ihm der König eine Ohrfeige gab.«
Mir war die ganze Sache peinlich und ich wäre am liebsten im Boden versunken, obwohl die Kinder vor Begeisterung tobten. Ich merkte auch, dass Isabell und Melanie unruhig auf ihren Stühlen hin und her rutschten, seit mir der zweite Versprecher passiert war. Je näher das Ende der Audienz rückte, desto mehr beschäftigte mich die Frage, wie ich die Situation retten könnte.
Nachdem die Audienz beendet war und die Kinder uns verlassen hatten, standen tatsächlich nur noch Isabell und Melanie hinter der Kordel bei meinem Turmzimmer. Ich ging auf die beiden zu und lächelte sie an. Beide lächelten zurück.
»Und, was machen wir nun?«, fragte ich und übersetzte die Frage gleichzeitig ins Französische.
Beide Frauen sagten nichts, sondern sahen mich nur verlegen an.
»Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?«, fragte ich. Was sollte man sonst schon fragen in einer solchen Situation?
Sie nickten zustimmend und schienen froh zu sein, dass sich etwas tat.
»Vielleicht auf den Schlossterrassen?«
Sie nickten wieder. Also legte ich Umhang und Krone ab und wir machten uns auf den Weg zum Ausgang des Schlosses.
Als wir die Schlossterrasse durch das Schlossgartentor und über die Treppenanlage erreicht hatten, wurde zum Glück gerade ein Tisch frei.
»Kommt, den nehmen wir«, sagte ich.
Sie nickten wieder und wir setzten uns unter einen weit ausladenden Baum mit Blick über den Main.
»Schön ist es hier«, sagte Melanie und ich übersetzte erneut.
»Ja, sehr schön. Ich war oft mit Ulrich hier«, stimmte Isabell zu und ich übersetzte.
Wir unterhielten uns über Ulrich und es kam mir so vor, als ob so etwas wie Verständnis zwischen Isabell und Melanie wuchs. Je länger das Gespräch dauerte, desto lockerer wurden die beiden. Sie kramten sogar einige wenige Brocken Englisch hervor, die sie beherrschten, und versuchten, sich direkt zu verständigen.
Ab und zu grüßten mich Spaziergänger, die am Sonntagnachmittag über die Schlossterrasse in Richtung Pompejanum zogen. Man kannte den König von Aschaffenburg und die Leute freuten sich, mich auf der Terrasse zu sehen.
»Der König trinkt ein Bier«, flüsterten sie ihren Kindern zu,
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