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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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die mit rückwärts gewandten Köpfen an ihrer Hand hingen und mit großen Augen in meine Richtung starrten.
    »Du bist hier sehr bekannt«, stellte Melanie beeindruckt fest.
    »Ja, ja, unser König«, lachte Isabell. »Was wäre Aschaffenburg ohne ihn?«
    Isabell erzählte von Ulrich und von mir, von meinem Versprechen, das ich Ulrich gegeben hatte, und von der großen Hilfe, die ich für sie sei. Melanie wurde zunehmend stiller. Ich glaubte, sie fühlte sich zwischen all den deutschen Terrassengästen als Fremdkörper und wurde durch die endlosen Berichte über mich und Ulrich geradezu erdrückt.
    Irgendwann sagte sie auf Französisch: »Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.« Dabei klang sie sehr enttäuscht und traurig.
    »Wenn du meinst«, antwortete ich. Mir fiel im Augenblick keine Lösung ein, wie ich den Nachmittag hätte retten können.
    »Besuch mich mal in Straßburg«, setzte sie noch leise hinzu. Dann stand sie auf und verabschiedete sich. Ich wagte es nicht, sie auf den Mund zu küssen, sondern gab ihr nur rechts und links zwei Küsschen auf die Wange, wie das in Frankreich üblich ist. Isabell schloss sich dieser Geste an, obwohl ich glaubte, dass sie ihr lieber die Augen ausgekratzt hätte, als sie zu küssen.

17
    Drei Tage später saß ich im Intercityexpress nach Straßburg. Wie eine stählerne Schlange trug er mich durch das Rheintal nach Süden. Mannheim, Karlsruhe, Baden-Baden – Stationen einer Reise in die Vergangenheit, von der ich mir die Zukunft erhoffte. Oskar lag neben mir auf einem Handtuch.
    »Bald sind wir da«, sagte ich zu ihm, als wir Baden-Baden passierten.
    Er sah kurz auf, rollte sich wieder zusammen und schlief weiter. Als Reisebegleiter war Oskar ideal. Er wusste offensichtlich, wenn Ruhe angesagt war, gab keinen Mucks von sich und wartete geduldig bis zur Ankunft.
    Ich hatte Aschaffenburg kurz nach 8 Uhr morgens verlassen, nachdem die Kinder in der Schule waren und Isabell auf dem Weg zum Buchladen. Jetzt zeigte die Uhr kurz nach zehn und Isabell ahnte noch nicht einmal, dass ich bereits zu Melanie nach Straßburg unterwegs war.
    Jede Diskussion wäre zwecklos gewesen. Freiwillig hätte sie mich niemals fahren lassen. Also hatte ich nur einen Zettel auf den Küchentisch gelegt: ›Bin ein paar Tage weg, komme spätestens am Samstag wieder.‹ Ich nahm zwar an, dass sie sich denken konnte, wen ich besuchte, aber ich war zu feige gewesen, es ihr direkt zu sagen. Außerdem hatte ich diesmal auch Rotfux nicht informiert. Ich wollte Melanie unbedingt besuchen und konnte keine Ablehnung durch Kommissar Rotfux riskieren.
     
    Am Bahnhof in Straßburg begrüßte mich Melanie mit einer langstieligen roten Rose. Sie hielt mir zunächst die Blume entgegen und danach ihren Mund. Ich nahm beides dankbar an.
    »Ich freue mich sehr«, sagte sie auf Französisch, während Oskar zwischen ihren Beinen tänzelte. Dann beugte sie sich zu ihm herab und kraulte ihn hinter den Ohren. Oskar bellte und sprang an ihren Beinen hoch, sodass ich schon glaubte, er würde sie mit seinen Krallen kratzen.
    »Nein, nicht! Komm her!«, sagte ich und nahm ihn auf den Arm. »Du bist doch ein alter Schlingel. Willst wohl Melanie gleich fressen?«
    Sie lachte. Ich sah ihre weißen Zähne und ihren hübsch geschwungenen Mund, ihre leuchtenden Augen neben der kleinen Stupsnase, ihre braune Haut, die nach Sommer roch, ihre feinen Hände, die sich mir entgegenstreckten – und schon lag sie mir in den Armen, mit Oskar dazwischen, den wir fast zerquetschten.
    »Hast du schon gefrühstückt?«, fragte sie. Ihr Französisch klang wie Musik in meinen Ohren. Es war mir, als ob Melanies Stimme und ihre Sprache ganz tief in meiner Seele Töne anschlugen, die nur darauf warteten, gespielt zu werden. Im Moment hatte ich das Gefühl, mehr Franzose als Deutscher zu sein.
    »Ich habe etwas im Zugrestaurant gegessen«, antwortete ich.
    »Dann lass uns zuerst deine Tasche zu mir bringen. Bestimmt erinnerst du dich an meine kleine Wohnung.«
    Ein Taxi brachte uns zum Quai des Bateliers am Ufer der Ill. Ich konnte mich zunächst nicht erinnern, hier jemals gewesen zu sein. Ich hatte alle Hände voll mit meiner Reisetasche und dem Hund zu tun, als wir aus dem Taxi ausstiegen und Melanie zielstrebig auf ein älteres Haus zusteuerte.
    »Hier ist es«, sagte sie. »Soll ich Oskar nehmen?«
    »Wenn du möchtest«, antwortete ich und gab ihr den Hund. Er ließ sich anstandslos von ihr tragen, sah interessiert in alle Richtungen

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