Mainfall
und reckte seine Nase in die Höhe, als wir das Haus betraten. Ich beobachtete, wie er schnüffelte. Es roch nach altem Holz, nach Jahrhunderten, die uns hier empfingen, nach Generationen von Bewohnern, die hier gelebt hatten, bevor dieses alte Straßburger Haus jetzt mich empfangen durfte, um mir zu sagen, wer ich war.
›Du bist Franzose‹, raunten mir die Balken des Fachwerks zu. ›Du kennst uns Häuser, die nicht perfekt sind, aber liebevoll. Du kennst unseren Geruch der Geborgenheit, den wir verströmen, um eure Seelen zu beruhigen, die immer unruhig nach Neuem suchen.‹
Kann sein, dachte ich. Der Geruch kommt mir bekannt vor.
»Und? Erinnerst du dich?«, frage mich Melanie im Treppenhaus.
»Irgendwie schon«, antwortete ich. »Das Holz, der Geruch, das Dämmerlicht …«
Die Treppenstufen knarrten. ›Wir leben! Wir leben viel mehr als Beton!‹, flüsterten sie. ›Wir haben ein Herz. Wir werden gebohnert. Wir sind die besten Stufen der Welt.‹
Stimmt, dachte ich. Hier war Leben. Hier lebten sogar die Stufen. Sie konnten knarren, sie hatten ihre Sprache noch nicht verloren wie diese grauen, blassen Betonstufen, die tot waren, in diesen hässlichen Betonklötzen, die sie Häuser nannten.
»Ich wohne ganz oben unter dem Dach«, sagte Melanie.
Sie ging mir voraus. Im Halbdunkel des Treppenhauses sah ich ihre nackten Beine vor mir, welche die Stufen knarren ließen, obwohl sie schlank und zierlich waren. Oskar war ganz still. Wahrscheinlich hatte er Angst, weil er mich nicht sehen konnte, aber immerhin bellte er nicht.
»Hier sind wir«, verkündete Melanie endlich. Das Treppenhaus endete in einer kleinen hölzernen Empore mit Geländer, von der zwei Türen abgingen.
»Wer wohnt hier noch?«, fragte ich.
»Nur ich«, antwortete sie.
»Aber die zweite Tür da?«
»Ach die, die geht nur auf den Dachboden. Da wohnt niemand.«
Sie hatte inzwischen mit einem langen, fast antiken Schlüssel ihre Wohnungstür aufgeschlossen und setzte Oskar zu Boden. Der stellte seinen Schwanz in die Höhe und stolzierte wie ein König durch die Wohnung. Fast konnte man meinen, er sei der König von Straßburg. Zuerst sah er sich in der kleinen fensterlosen Diele um, danach lief er ins Wohnzimmer, das durch zwei Dachgauben recht hell war. Eine Kommode an der Wand, eine ältere Couch und zwei Ohrensessel und einige Bücherregale verbreiteten eine gemütliche Stimmung. Nur an den Bildern und den Gläsern in einer Vitrine sah man, dass hier eine junge Frau wohnte.
Während ich noch durch eine der Dachgauben auf den Fluss blickte, war Oskar schon in der Küche, die ebenfalls zum Quai gerichtet war. Eine große Wohnküche war das, mit Eckbank und einem alten Küchenschrank gegenüber einer modernen Küchenzeile.
»Der Schrank ist noch von meiner Großmutter«, erklärte Melanie, als sie merkte, dass ich die Möbel musterte.
Schließlich steuerte Oskar zielstrebig ins Schlafzimmer, das zum Innenhof gerichtet war und durch eine weitere Dachgaube Licht erhielt. Er stolzierte einmal um das französische Doppelbett herum und legte sich auf den Bettvorleger auf der linken Seite, als ob er dort schon immer gelegen hätte.
»Du kennst ja deinen Platz noch«, freute sich Melanie. »Ja, da darfst du liegen. Du bist sicher müde.«
Sie kraulte ihn kurz hinter den Ohren und zeigte mir dann zwei Fächer in ihrem alten Kleiderschrank.
»Die sind für dich, so wie immer«, sagte sie.
So wie immer?, dachte ich. Wenn ich nur gewusst hätte, was dieses ›so wie immer‹ bedeutete. Gut, ich war mir sicher, dass ich Melanie kannte. Ich sah auch, dass Oskar sich hier zu Hause fühlte. Aber ich konnte mich nicht daran erinnern, wann und wie oft ich hier gewesen war.
»Es ist alles sehr gemütlich bei dir«, meinte ich.
»Ja, meine Großmutter hatte diese Wohnung, bevor sie starb. Sonst bekommt man hier nicht so leicht etwas«, sagte sie. »Komm. Jetzt machst du dich etwas frisch, ich räume deine Sachen ein und dann gehen wir in die Stadt zum Mittagessen. Kochen will ich heute nicht. Dafür ist mir die Zeit mit dir zu schade.«
So stand ich wenig später in ihrem kleinen Bad und rasierte mich. Sonst tat ich das mittags eigentlich nie, doch ich hatte das Gefühl, mich für Melanie glätten zu müssen. Auch putzte ich mir die Zähne und wusch mir das Gesicht. Danach zog ich mein Hemd an und ging zurück ins Wohnzimmer.
»Können wir?«, fragte Melanie.
»Wenn du möchtest, gern«, sagte ich und holte Oskar aus dem Schlafzimmer.
Kurz
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