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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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darauf traten wir auf die Straße, durch die sich der Verkehr schob. Am gegenüberliegenden Ufer der Ill legte soeben ein Glasdachboot mit Touristen ab. Da die Sonne schien, war das Glasdach offen und die Besucher hatten freien Blick über den Fluss und die Altstadt. Hinter den Fachwerkhäusern sah man den Turm der Kathedrale, auf dem die Mittagssonne glänzte.
    »Lass uns zuerst zur Kathedrale gehen«, sagte ich spontan.
    Ich wusste nicht, warum, aber ich hatte das Gefühl, die Kathedrale begrüßen zu müssen wie einen alten Freund, den man lange nicht gesehen hatte.
    »Ganz wie du willst«, sagte Melanie.
    Sie legte ihren Arm um meine Hüfte, wir gingen über die Brücke beim alten Zollamt, dann nach rechts zur Rue du Maroquin, in der sich ein Souvenirgeschäft an das andere reihte.
    Kitsch hoch drei, musste ich denken, als ich die weißen, rotschnäbligen Elsässer Störche sah, die in allen Größen in den Souvenirgeschäften hingen. Trotzdem vermittelten mir diese Geschäfte ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit, als ob ich bereits als Kind mit glänzenden Augen durch diese Gassen gegangen war und in meinem Herzen nichts anderes als den Wunsch nach einem solchen Storch aus Plüsch getragen hatte, den ich anschließend wie eine Trophäe nach Hause tragen durfte.
    »Und? Erinnerst du dich an diese Gasse?«, fragte Melanie.
    »Ja«, sagte ich, »tief in meinem Herzen ist da ein Gefühl, dass ich schon mal hier war, wahrscheinlich sogar als Kind.«
    Melanie sah mich glücklich an. »Na, siehst du«, sagte sie. »Es wird doch langsam.«
    Wenig später traten wir auf den Place de la Cathédrale, den Platz vor dem Straßburger Münster. Es gibt Dinge, die man wohl nicht vergessen kann, selbst wenn sonst alles verloren ist. Ich wusste, dass ich das Hauptportal mit der Rosette darüber früher gesehen haben musste. Es hatte sich tief in meine Seele eingebrannt, dieses Kunstwerk aus Glas und Stein. Nicht die einzelne Figur, nicht das einzelne Fensterglas verliehen dem Werk Unsterblichkeit, sondern die Harmonie des Ganzen warf sich mir entgegen und entzückte meine Sinne.
     
    In einer Weinstube in der Rue des Tonneliers aßen wir zu Mittag. Es war beinahe zwei Uhr und wir hatten beide richtig Hunger. Oskar kuschelte auf der Eckbank zwischen uns. Ich hatte meinen Pullover für ihn ausgezogen, der nach dem ausgiebigen Stadtbummel sicher gut nach mir roch und ihm das Gefühl von Geborgenheit gab, nach dem er sich so sehnte. Wie ein kleiner Hundeengel lag er da, alle viere in die Luft gestreckt, während wir Elsässer Sauerkraut mit Kartoffeln, Würstchen und Speck aßen.
    »Ich bin froh, dass du dich erinnern kannst«, sagte Melanie und legte ihre kleine Hand auf die meine. »Es muss schrecklich sein, wenn man keine Vergangenheit mehr hat.«
    »Nun ja, das kommt auf die Vergangenheit an«, lachte ich. »Ein Verbrecher würde sie wahrscheinlich gern im Fluss versenken.«
    Wir tranken Elsässer Riesling und das nicht wenig. Ich freute mich über Straßburg und das Münster und auch Melanie. Ich schenkte ihr und mir nach und ich streichelte ihr über den Arm, den sie auf meinen Schoß gelegt hatte. Ich betrachtete ihre dunklen Augen und ihren hübschen Mund. Ich roch den Duft ihres Parfums, das sich mit dem Geruch von Sauerkraut und Speck mischte.
    »Du bist sehr schön«, sagte ich.
    Sie drückte meine Hand und küsste mich.
    Unter dem Tisch spürte ich ihren Fuß auf dem meinen.
    »Ich bin so froh, dass du da bist«, sagte sie.
    Oskar lag immer noch zwischen uns und hatte seinen Kopf diskret zur Seite gedreht. Melanie lächelte.
    »Er stört uns nicht. Einen braven Hund hast du«, sagte sie.
    Wir bestellten noch zwei Creme Caramel, dann nochmals Riesling, bis mein Französisch etwas schwerfälliger wurde und ich dauernd kichern musste. Endlich verließen wir beschwingt das Lokal und gingen Arm in Arm Richtung Fluss. Wir waren bereits ein ganzes Stück in Richtung Ancienne Douane gegangen, als ich plötzlich Oskar bellen hörte. Mein Gott! Den haben wir ganz vergessen, schoss es mir durchs Hirn.
    Da kam er gerannt. Seine Leine zog er hinter sich her. Der Metallverschluss klirrte über das Kopfsteinpflaster. Ich sah den kleinen Kerl mit wehendem Fell auf uns zu jagen.
    »Komm, mein Schatz«, rief ich und beugte mich zu Boden.
    Er galoppierte förmlich auf uns zu, fegte mit seiner Leine durch die Gasse, überschlug sich auf den letzten Metern fast und sprang mir in den Arm. Ich spürte dieses treue kleine Etwas, dieses kleine

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