Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
Vom Netzwerk:
und beschützte uns, es war ein kleines Paradies, das ich hier mit Melanie gefunden hatte.

18
    Am nächsten Morgen stieg mir der Duft von frischem Kaffee in die Nase. Melanie war bereits auf und hatte in der Küche den Tisch gedeckt.
    »Während du dich wäschst, hole ich Baguettes«, sagte sie. »Und Oskar nehme ich gleich mit, damit er Pippi macht.«
    So gut war es mir schon lange nicht mehr gegangen. Nachdem ich mich gewaschen und rasiert hatte, öffnete ich im Wohnzimmer das linke der beiden Dachgaubenfenster. Der Turm des Münsters leuchtete in der Morgensonne. Gegenüber am Kai wurden die Ausflugsboote gesäubert, der morgendliche Verkehr zog an der Ill entlang, Fußgänger hasteten über die Brücke beim alten Zollamt und tief in mir drin kam mir das alles sehr bekannt vor. Straßburg erwachte und ich erwachte mit.
    Kurz darauf hörte ich Schritte im Treppenhaus. In diesem Haus lebte alles. Die hölzernen Stufen meldeten Melanie, der Schlüssel drehte sich im Schloss, die Tür quietschte, dann war sie da, mit zwei Baguettes unter dem Arm und einer Tüte mit Croissants.
    »Komm, lass uns frühstücken«, sagte sie.
    Ich nahm eine große Schale Milchkaffee, ein Croissant mit Butter und ein Stück vom Baguette, einfach abgebrochen, dieses herrliche französische Stangenweißbrot, das nirgends so frisch und knusprig war wie in Frankreich. Ich wusste sofort, das war mein Leben. Baguette, Käse, Pastete – vive la France, dachte ich. Ich fühlte, dass ich schon als Kind so gefrühstückt hatte. Darin lag eine Art Seelenheimat für mich, das war klar. Ich beobachtete Melanie, wie sie ihr Brot aufschnitt, danach mit Konfitüre bestrich und Stück für Stück mit ihren zarten langen Fingern in ihren Kussmund schob. So konnte ein Frühstück nur in Frankreich schmecken.
    »Ich könnte ewig so mit dir sitzen«, schwärmte ich.
    »Ich auch«, kam lachend die Antwort. »Bleib doch einfach hier. Vielleicht brauchen sie in Straßburg auch noch einen König.«
    Sie wusste natürlich, dass das nicht möglich war.
     
    Nach dem Frühstück kramte sie einen Notizblock aus ihrer Kommode.
    »Sieh mal, was ich gefunden habe.«
    Ich sah mir den Block genauer an. Tatsächlich! Das war meine Handschrift. Notizen über Straßburg, über das Münster, über la Petite France und seine Fachwerkhäuser, über das Maison Kammerzell am Münsterplatz.
    »Woher hast du das?«, fragte ich.
    »Du musst den Block bei deinem letzten Besuch vergessen haben. Irgendwann fand ich ihn, dachte aber nicht, dass er besonders wichtig sei.«
    »Wann war mein letzter Besuch?« Ich merkte, wie sehr mich meine Vergangenheit plötzlich wieder beschäftigte, und wurde ganz aufgeregt.
    »Das war so ziemlich genau vor einem Jahr. Danach habe ich lange nichts mehr von dir gehört, bis ich diese Fernsehsendung mit dir sah«, antwortete Melanie.
    »Und warum hast du mich nicht angerufen oder mir geschrieben?«
    »Das hattest du mir verboten. Ich hatte auch keine Anschrift. Nur du hast angerufen. Du hast nie viel von dir preisgegeben. Ich weiß nicht, warum. Ich dachte, dass du verheiratet bist oder als Schriftsteller deine Ruhe haben wolltest, und war sehr froh, wenn ich dich überhaupt sehen konnte«, sagte sie.
    »Du meinst, ich bin Schriftsteller?«
    »Jedenfalls hast du das gesagt«, antwortete Melanie. »Zwar hast du mir nie ein Buch gezeigt, aber immer warst du mit diesen Blöcken unterwegs und machtest dir Notizen.«
    Ich nahm den Notizblock an mich. »Darf ich ihn behalten?«
    »Klar, ist schließlich deiner.«
    Ich blätterte nochmals in dem Block, der ein Stück meiner Vergangenheit war. Ein kostbares Souvenir für mich, das immerhin bewies, dass Melanie die Wahrheit sagte.
    »Wollen wir in die Stadt gehen?«, schlug sie vor.
    Ich hatte das deutliche Gefühl, dass ihr meine Fragen lästig wurden. Sie wollte sich nicht nur mit unserer Vergangenheit beschäftigen. Sie wollte in der Gegenwart mit mir leben.
    »Gern«, sagte ich also.
    Wir fütterten Oskar mit seinen Körnern und etwas Pastete, dann machten wir uns auf in Richtung la Petite France. Bislang waren nur wenige Touristen unterwegs. Ich ertappte mich dabei, dass ich nach den beiden von gestern Ausschau hielt.
    »Wie sahen denn die Männer aus, die uns gestern verfolgt haben?«, fragte ich Melanie.
    Über Melanies Gesicht huschte ein dunkler Schatten und ich bereute, das Thema angesprochen zu haben.
    »Es waren schwarzhaarige Typen, südländisch, vielleicht Algerier. In Jeans, mit dunklen

Weitere Kostenlose Bücher