Mainfall
den Eindruck, dass es ihr Freude bereitete, mich zu bewachen. Sie ließ mich keine Sekunde mehr los und schaute aufmerksam nach rechts und nach links.
»Geschafft«, seufzte Melanie, als wir ihr Haus erreichten. »Bei mir passiert dir sicher nichts.«
Na, Gott sei Dank, dachte ich, endlich zu Hause.
Wir öffneten die Fenster der Dachgauben und ließen die frische Luft durch die Wohnung streichen. Vom Wohnzimmer sah man den Fluss, auf dem die Glasdachboote ihre Runden drehten. An den Anlegestellen herrschte Hochbetrieb und durch die Gassen, soweit man das von oben sehen konnte, schoben sich die Touristen. Ich zog meine Schuhe aus und legte mich auf die Couch. Melanie kam zu mir und setzte sich neben mich.
»Na? Geht es dir schon besser?«, fragte sie.
»So einigermaßen«, sagte ich. »Aber ich bin enttäuscht. Ich wäre gern noch länger geblieben.«
Melanie strich mir übers Haar. »Du kannst doch bald wiederkommen.«
Oskar hatte sich unter die Couch gelegt. Er suchte immer meine Nähe, was in mir das Gefühl hervorrief, bewacht zu werden.
Eine Weile saß Melanie ganz still neben mir. Ich dachte nach: Warum ließ mir meine Vergangenheit keine Ruhe? Warum schnüffelte dieser Rotfux darin herum? Konnte es keinen Schlussstrich geben? Zum ersten Mal beschlich mich die Angst, dass meine Vergangenheit so schrecklich sein könnte, dass sie meine Zukunft völlig zerstörte.
»Wie lange kennen wir uns schon?«, fragte ich Melanie.
»Schon mehr als sechs Jahre.«
»Und wo haben wir uns kennengelernt?«, bohrte ich weiter.
»In Südfrankreich, in Saint-Tropez, am Hafen«, kam die Antwort. »Du lagst mit einer Jacht vor Anker und hast mich eingeladen und ich konnte dem nicht widerstehen«, lachte sie.
»Ich besaß eine Jacht?«, wunderte ich mich.
»Ich weiß nicht, ob sie dir gehörte, aber du hattest sogar einen Butler, der den Hund ausführte, und einen Koch an Bord. Wir haben Ausflüge gemacht und sind in verschiedenen Orten vor Anker gegangen.«
Wahnsinn! Das wurde ja immer besser mit meiner Vergangenheit. Wenigstens hatte sie nichts von Venedig erzählt, aber die Sache mit der Jacht machte mich mindestens genauso stutzig.
»Und außer mir war niemand an Bord? Keine Familie? Keine Frau? Keine Kinder?«
»Nein. Nur dein Hund und die Notizbücher, die du auch damals schon ständig bei dir hattest.«
Ich war sprachlos. Auf diese Geschichte konnte ich mir keinen Reim machen.
»Hast du sonst noch etwas Besonderes mit mir erlebt?«, fragte ich sie.
Ich war froh, dass ich sie nun endlich ausfragen konnte.
»Eigentlich nicht«, antwortete sie. »Nur in Südfrankreich waren wir auf einer Halbinsel mit einem Schloss, wo du behandelt wurdest wie ein Graf. Alle verbeugten sich vor dir und das beeindruckte mich sehr.«
Das nahm ja gar kein Ende mit den Überraschungen! Entweder erfand sie jetzt Geschichten oder ich musste wirklich eine außergewöhnliche Vergangenheit haben.
»Würdest du die Insel wiederfinden?«
»Ich weiß nicht. Wir sind mit der Jacht dorthin gefahren. Es war in der Nähe von Le Lavandou. Aber sonst weiß ich natürlich nichts Genaues.«
Ich wunderte mich, dass sie so einfach mit mir mitgefahren war, ohne zu wissen, wohin. Und ich wunderte mich, dass ich sie so einfach mitgenommen hatte, ohne sie näher zu kennen.
»Du wusstest nicht, wohin?«, fragte ich.
»Ich war bis über beide Ohren in dich verliebt, Bertram. Bin ich doch heute noch.«
»Und in dem Schloss war sonst niemand? Keine Familie, keine Frau, keine Kinder?« Ich konnte es nach wie vor nicht fassen.
»Nein. Nicht, dass ich wüsste. Nur ein alter Mann ist uns begegnet. Er saß im Park auf einer Bank und ich hatte das Gefühl, dass es dir unangenehm war, dort mit mir vorbeizukommen.«
»Und später, waren wir später nochmals dort?«
»Nein, nie. Später hast du mich nur immer hier in Straßburg besucht und einmal sind wir nach Paris geflogen.«
»Geflogen«, wunderte ich mich.
»Ja, geflogen«, sagte sie. »Du warst sehr großzügig. Geld schien keine Rolle für dich zu spielen.«
Ich hatte jetzt mehr über mich erfahren als in all den vergangenen Monaten und wusste trotzdem nicht, was das zu bedeuten hatte. Ich sah die Fachwerkbalken über mir und war froh, dass dieses alte Haus mich momentan beschützte. Ich hatte den Eindruck, dass ich zurück nach Hause gekehrt sei, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, woher dieses Gefühl kam.
Irgendwann fielen mir die Augen zu. Ich fühlte das alte Großmutter-Sofa unter
Weitere Kostenlose Bücher