Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Beine baumeln, und kaue genussvoll meinen Marmeladentoast. Nicht nur Rache – auch Gerechtigkeit ist süß.
Meine Mutter geht einkaufen. Ob ich einen Wunsch habe, will sie wissen.
„ Ein Comic“, sage ich. „Superman oder die Spinne.“
Ich bleibe allein zurück. Das Wetter ist schön, und ich schlendere barfuß durch den Garten. Vorsichtig, damit ich nicht auf eine Wespe trete. Unser Garten ist beinahe so groß wie ein Fußballfeld und von einer dichten Hecke umgeben. Der Rasen ist von Moos durchwachsen und unglaublich weich. Wie ein Seiltänzer setzte ich einen Fuß vor den anderen. Es ist ein perfekter, friedlicher Augenblick. Ich denke an meine Eltern, und ein zärtliches Gefühl wärmt mich von innen. Ich habe alle Zeit der Welt. Im Gartenhäuschen, in das mein Vater sich manchmal zurückzieht, um ungestört Fußballübertragungen im Radio zu hören, stapeln sich ein paar meiner Comics auf einem Tischchen. Gedankenverloren betrachte ich die Titelbilder und lächle, weil ich tatsächlich eines wiedererkenne, das mir schon damals besonders gut gefiel. Es ist ein früher Batman, den mir mein Vater vor gefühlten Äonen auf dem Trödelmarkt gekauft hat. Der Joker ist darauf zu sehen. Inmitten der gotisch anmutenden Kulisse von Gotham City stehen er und
der Dunkle Ritter
sich gegenüber. Natürlich nicht im fairen Kampf. Der Joker hält zwei Zünder in den Händen. In einer Sprechblase über seinem Kopf steht:
„ Eine Bombe zerstört das Waisenhaus, die andere das Polizeipräsidium. Wen lässt Du sterben, Batman?“
Bruce Wayne und ich haben viel gemeinsam. Klar, noch mehr unterscheidet uns. Ich bin nicht reich, bin kein Playboy und ganz bestimmt kein Superheld. Aber wie er bin auch ich irgendwann in eine dunkle Höhle gestürzt.
Ich weiß allerdings nicht genau, ob ich schon wieder draußen bin.
In diesem Moment schiebt sich eine Wolke vor meine Sonne. Eine Gänsehaut lässt mich schaudern.
Und auch ich habe einen Joker zu erledigen!
Ich erstarre und horche tief in mich hinein. Wie ein ferner Rufer klingt meine innere Stimme.
Du kannst diese Menschen nicht sterben lassen
, ruft sie mir zu. Verdammt, sie hat recht! Mein Körper strafft sich. Ich muss sofort etwas unternehmen! Ich kann diese Menschen nicht sterben lassen! Es ist schon Donnerstag. Die Zeit rast!
Ich renne ins Haus zurück. Ins Esszimmer, zum Telefon.
„ Notruf Zentrale“, meldet sich eine nüchterne Stimme. Ich habe ein Taschentuch über den Hörer gezogen, wie man es in alten Agentenfilmen sieht. Los geht’s.
„ Am Samstag wird es ein schreckliches Bombenattentat geben.“
„ Hallo? Ich kann Sie nicht verstehen. Nehmen Sie bitte die Hand von der Sprechmuschel.“
Ich reiße das Taschentuch herunter.
„ Hören Sie! Am Samstag wird jemand eine Bombe zünden. In Wembley! Beim
Live-Aid
-Konzert! Tausende werden sterben!“
„ Mein Junge, es ist verboten, Scherzanrufe bei der Polizei zu machen! Hier rufen Menschen an, die in Not sind!“
„ Ich bin in Not!“, brülle ich wie von Sinnen, „Sie blöder Sesselfurzer! Eine Bombe in einem vollen Stadion. Der Attentäter ist ein Holländer. Jan van Schewick. Er wird auf der Bühne als Kabelträger arbeiten. Er trägt eine Sprengstoffweste. Haben Sie das verstanden? Notieren Sie sich den Namen. Jan van Schewick! Hallo?“
Aufgelegt.
Ich schlage den Hörer mit aller Kraft aufs Telefon.
„ Idiot!“
Es klingelt an der Tür. Ich renne durch den Flur und reiße sie auf. Josch!
„ Es tut mir so Leid“, sprudelt es aus mir heraus. Und weil ich seinen Blick nicht ertrage, umarme ich ihn. Josch erstarrt, weil das unter Jungs sehr unüblich ist, aber dann entspannt er sich, klopft mir auf die Schulter und erwidert meine Umarmung schließlich.
„ Wie geht es dir?“, will er wissen.
Wir lassen uns los. Frau Engler steht auf der anderen Straßenseite und glotzt.
„ Komm erstmal rein“, sage ich.
Wir setzen uns in die Küche.
„ Wir müssen was tun“, fordere ich.
Mir fällt ein, dass ich Josch eine Erklärung schulde. Er bekommt sie. Ich berichte vom Unfall meines Vaters. Tränen füllen meine Augen, und ich schäme mich nicht.
Josch lauscht und nickt mit nachdenklicher Miene.
„ Scheiße“, wiederholt er mehrmals. „Scheiße, Mann!“
Er nimmt die Brille ab, tupft seine Augen mit dem Ärmel trocken. Er weint mit mir. Ein großartiger Kerl, dieser Josch! Wir schweigen und trinken Cola. In meinem Kopf ist Kirmes, ein wüstes Durcheinander, aber Josch wirkt
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