Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
fokussiert. Er will alles wissen, über Timm, die Fete, das Auto meines Bruders, das Konzert. Mit jeder Information, die ich preisgebe, fühle ich mich leichter. Als Josch alles weiß, leert er seine Cola auf ex und knallt das Glas auf den Tisch wie ein Cowboy.
„ Ich habe einen Plan“, verkündet er triumphal.
„ Lass hören, junger Jedi“, sage ich, weil ich weiß, dass ich ihm eine Freude damit mache.
Und was soll ich sagen? Josch’s Plan ist wirklich gut.
Für mich gibt es heute nichts mehr zu tun. Ich sitze im Zimmer meines Bruders, als er nach Hause kommt. Paul trägt Uniform. Mit den mächtigen Springerstiefeln sieht er aus wie ein Stehaufmännchen, weil er so dünn ist. Ein dichter Schnurrbart auf seiner Oberlippe.
„ Raus hier, Wanze!“
Er wirft seine Tasche in die Ecke. Ich freue mich, ihn zu sehen. Nachdem alles den Bach runter gegangen ist, werden wir nur noch sporadisch telefonieren. Und weil ich heute schon einmal dabei bin, springe ich auf, und umarme ihn. Er ist so groß, dass ich ihm gerade bis zur Brust reiche. Verdutzt hält er inne, streicht mir durchs Haar:
„ Hey, kleiner Bruder, was ist denn mit dir los?“
Wir setzen uns auf das Sofa, hören Platten, und reden. Paul erzählt von der Bundeswehr, wie unglaublich stumpfsinnig sein Dienst da ist, und lässt mich wiederholt versprechen, dass ich verweigere. Ehrenwort! Ich erzähle, dass ich eins aufs Maul bekommen habe. Das weiß er natürlich längst von unserer Mutter. Er möchte wissen, wie es dazu kam. Ich berichte ihm vom Montag, als ich diesen Konflikt ja eigentlich ausgelöst habe, indem ich Timm sein Sweatshirt zurückgab. Paul kriegt sich kaum noch ein vor Lachen, und wir klatschen uns ab.
„ Ich kann diese Arschmade auch nicht ab“, verkündet er. Das macht mich stolz. Mama gesellt sich zu uns. Mit einem Seufzer plumpst sie neben Paul aufs Sofa und legt ihren Kopf an seine Schulter. So haben wir früher oft zusammengesessen. Paul und ich erzählen Unsinn, schaukeln uns gegenseitig rauf, bis uns vor Lachen die Limonade aus der Nase sprudelt. Und heute passiert noch mehr als das. Etwas unglaublich Schönes.
Unser Vater setzt sich zu uns! Kommt rein, etwas zögerlich, und platziert sich neben mir auf der Armlehne. Und als wäre das nicht schon verrückt genug – das Gespräch ist gerade verstummt, weil auch Paul und Mama platt sind – beginnt er, zu sprechen. Mehr Worte, als ich sonst in einer Woche von ihm hören darf, kommen aus seinem Mund. Von seiner Arbeit, und wie sehr sie ihm zusetzt. Wie schwer es ist, gute Mitarbeiter zu finden. Wie unrealistisch die Erwartungen des Vorstands sind, und, und, und. Mama holt Kaffee rauf, und Paul legt eine andere Platte auf. Ich rühre mich nicht, nicke und lausche, weil Papa mit mir spricht, mich ansieht mit seinen müden, traurigen Augen. Und als Cyndie Lauper
Time after Time
jammert, bin ich mehr zuhause, als ich es jemals zuvor war. Und dieses Gefühl ist so wundervoll, das ich mich darauf konzentriere, es festzuhalten. Es mir einzuprägen. Denn es füllt die Leere in mir wie warmer Sommerregen ein ausgetrocknetes Flussbett. Und meine Zuneigung wächst wie das Schilf an den Ufern, in dem schon bald wieder bunte Libellen herumschwirren werden wie Träume und die krausen Gedanken eines kleinen Jungen, dem die Welt zu Füßen liegt, während er in einer riesengroßen Seifenblase über das Königreich seiner Kindheit schwebt.
So merken wir gar nicht, dass der Tag zum Abend wird. Und weil es plötzlich so spät ist, gehen wir alle zusammen aus essen. Meine Mutter hakt sich bei Paul und mir unter, als wir durch die Straßen unseres Dorfes spazieren. Eine Frau, die ich nicht kenne, schaut aus ihrer Haustür.
„ Die ganze Familie Greth zusammen“, kommentiert sie lächelnd.
Als wir bei dem kleinen Italiener sitzen, gleich bei der Kirche, und Paul von seinen Zukunftsplänen für die Zeit nach dem Wehrdienst berichtet, glaube ich, das Licht der Kerzen in den Augen meines Vaters schimmern zu sehen. Vielleicht, weil er seine eigene Vergangenheit in seinem ältesten Sohn leuchten sieht. Oder weil er weiß, dass nichts bleibt, wie es ist, und dass das manchmal auch gut ist.
Freitag, 12. Juli 1985
Ich muss eine Weile quengeln, damit meine Mutter mich zur Schule gehen lässt. Aber heute ist nicht der Tag, um mich zu beglucken. Heute ist
der Tag!
Und ich bin ein Goonie. Also los, Nori – raus in den Dschungel mit dir. Wie auf Bestellung
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