Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
mich nicht einfach in Ruhe lassen?“, höre ich mich sagen. Das saß! Sie macht auf der Stelle kehrt und verschwindet mit der Menge vom Schulhof in die Ferien.
Als ich zurück zu meinen Jungs gehe, bemerke ich Martins zufriedenen Gesichtsausdruck.
Mama ist mit meinem Zeugnis einverstanden. Nur eine Fünf. In Mathe. Dafür hat sie Verständnis. Papa ist noch nicht von der Arbeit zurück.
Ich bin unruhig. Elend langsam kriechen die Stunden dahin. Wäre die Fete nicht ein Baustein in Josch’s Plan, ich würde nicht hingehen. Hoffentlich krieg ich nicht wieder aufs Maul! Ich schaue wiederholt auf die Uhr.
Aus Mangel an Alternative, aber auch mit heimlicher Begeisterung, sitze ich vor dem Fernseher und gucke
Pippi in Taka-Tuka-Land
. Es dauert nicht lange, da gesellt sich Paul zu mir. Natürlich macht er blöde Sprüche von wegen Kinderkram und so. Aber schnell hält er die Klappe und schaut mit.
Das Telefon klingelt. In alter Tradition rühren wir uns nicht, bis Mama verkündet, dass es für mich ist.
„ Yep“, melde ich mich.
„ Josch hier.“
„ Was geht ab?“
„ Hör zu! Ich glaube, das ist wichtig für dich.“
„ Lass hören.“
„ Dein Kumpel Martin ist eine Arschmade. Ich habe ihn belauscht, als er mit dieser geschminkten Tussi geredet hat.“
„ Claudia.“
„ Möglich. Auf jeden Fall ziehen die beiden eine krumme Nummer mit dir ab. Nichts von dem, was Bettina angeblich über dich gesagt hat, ist wahr. Das hat Martin sich ausgedacht, weil er gemerkt hat, dass Bettina auf dich steht. Alles klar?“
„ Alles klar! Josch?“
„ Ja?“
„ Du bist der Geilste!“
Josch lacht und legt auf.
Ich Volltrottel!
Der Nachmittag bricht an. Endlich. Phase 1 beginnt. Der Adler ist noch nicht gelandet. Er zupft sein Gefieder zurecht. Der Anzug ist aus Schurrwolle, tiefschwarz, und sitzt wie für mich gemacht. Paul bindet mir die Krawatte. Ich trage sie locker um den Hals, den oberen Hemdknopf geöffnet. Wir betrachten mich im Spiegel.
„ Cool!“, beschließt Paul.
„ Meine Haare“, jammere ich und wuschle durch meine langweilige Frisur.
„ Da können wir was machen“, sinniert Paul wie Figaro, reibt sich nachdenklich das Kinn.
„ Entweder fahre ich mit meinem Auto über deinen Kopf,“ – wir lachen – „oder versuchen es mit“ – Paul singt – „Stu-Stu-Studio-Line“.
„ Gleicher Schnitt, neuer Look“, steige ich mit schriller Stimme ein.
Paul zaubert eine Tube Wetgel aus dem Schrank, verschmiert es glitschig schmatzend in seinen Händen, und bearbeitet meine Haare so energisch, dass ich fast umfalle.
Und wirklich, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Haare stehen mir strubbelig zu Berge und verleihen mir etwas von Dave Gahan.
„ Du kannst ja doch was“, piesacke ich Paul.
Er droht, das restliche Gel auf mein Jackett zu schmieren, verteilt es dann aber in seinen Haaren, fängt wie blöde an zu tanzen und singt
Girls just wanna have fun
.
Und noch während ich Paul begeistert anfeuere, kommt mir in den Sinn, dass ich dabei bin, die Zukunft neu zu schreiben. In Schönschrift. Verdammt, ich weiß nicht, ob ich dieses Wochenende überlebe. Aber vorher habe ich einen Wunsch: Ich möchte einmal mit meinem Mädchen tanzen.
Meine Mutter schießt tatsächlich Fotos von mir, bevor ich das Haus verlasse. Bereitwillig hat Paul seine Platten rausgerückt für die Fete. Nicht nur wegen all dem liegt heute ein besonderer Zauber in der Luft. Die normale Freitagabendmagie, gepaart mit einer hoffnungsvollen Brise aus besseren Zeiten, die vor mir liegen. Vor uns allen. Klack-Klack machen die Absätze meiner Stiefeletten auf dem heißen Asphalt. Ich trage das Jackett über der Schulter, die Platten unter dem Arm. Der Schlüssel von Pauls altem Polo rasselt in meiner Tasche. Ich komme mir vor wie der Typ aus
Straßen in Flammen.
Bin der einsame Wolf auf dem Weg zum Showdown Part 1.
Claudia wohnt jenseits der Bundesstraße. Ich biege um Ecken, die mich aus meinem Revier führen, folge schmalen Wegen mit hohen Mehrfamilienhäusern. Vorbei am Spielplatz, wo nie jemand spielt, über die Ampel. Ein Stück den Fahrradweg entlang, bis zur Telefonzelle. Das gegenüberliegende Haus ist es. Ich ziehe mein Jackett über. Hier ist das Dorf fast zu Ende. Vorsichtig überquere ich die Straße, folge der unasphaltierten Einfahrt rechts vorbei an dem Bungalow bis auf einen großen Hof, der von Feldern umsäumt ist. Hier liegt viel Schrott rum, rostige Container und alte Autoreifen.
Weitere Kostenlose Bücher